Keine Furcht vor Medikamenten |
Damit Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Therapie beginnen können, brauchen sie in vielen Fällen zuerst Medikamente. / Foto: Adobe Stock/Alexander Raths
Die ersten Arzneistoffe mit Wirkung auf die Psyche wurden Mitte der 1950er-Jahre entdeckt. Endlich gab es Hilfe für psychisch Erkrankte, die bis dahin zu Hause versteckt oder in Anstalten verwahrt wurden. Selbst in spezialisierten Einrichtungen beschränkte sich die Therapie auf wenige Methoden wie Schlaf- und Schockkuren oder Lobotomien. Bei diesem Eingriff am Gehirn durchtrennt der Chirurg das Gewebe zwischen Frontallappen und Thalamus, um den Patienten von emotionalen Ausbrüchen zu heilen. Apathie war oft die Folge.
Heute zieht eine Diagnose aus dem Bereich der Psychiatrie nahezu immer die ärztliche Verordnung eines oder sogar mehrerer Wirkstoffe aus der Klasse der Psychopharmaka nach sich. Darunter versteht man Substanzen, die sich auf die Steuerung von Prozessen im zentralen Nervensystem auswirken und so die psychische Verfassung verändern; Experten sprechen von psychotropen Effekten.
Ein wichtiger Angriffspunkt ist der Stoffwechsel der Neurotransmitter im Gehirn und damit die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen. Von der Funktion und Aktivität der Übertragung hängen menschliche Gefühle, Gedanken, Wahrnehmung und Verhaltensweisen ab. Neurotransmitter wie Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin (Monoamine) sowie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) oder Acetylcholin sind an der Informationsübertragung maßgeblich beteiligt. Sie sind in den präsynaptischen Vesikeln an den Fortsätzen der Nervenzellen gespeichert. Da zwischen den Nervenzellen keine direkte Verbindung besteht, wird der Informationsimpuls über die Ausschüttung der Neurotransmitter aus den Vesikeln in den synaptischen Spalt weitergeleitet. An der postsynaptischen Membran befinden sich Rezeptoren, an denen die Neurotransmitter binden können. Im synaptischen Spalt werden die Neurotransmitter anschließend in unterschiedlicher Geschwindigkeit abgebaut.
Psychopharmaka-Klasse z.B. | eingesetzt z.B. bei |
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Antidepressiva | Depressionen, Schlafstörungen, Angst- und Panikstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen, chronische Schmerzen. |
Beruhigungsmittel/Anxiolytika | Angst- und Spannungszustände, Schlafstörungen |
Neuroleptika | Bei schizophrenen Erkrankungen, Manien, Demenz mit Verwirrtheit |
Phasenprophylaktika bzw. Stimmungsstabilisierer | Bipolare (manisch-depressive) Erkrankungen, schizoaffektive Störungen, schwere Depressionen. |
Die Steuerung der Neurotransmitter und die Rückkopplungsmechanismen sind sehr komplex; die Wirkmechanismen der Psychopharmaka zum Teil noch nicht verstanden. Ein Faktor ist das Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt. Gleichzeitig können auch die Dichte und die Empfindlichkeit der Rezeptoren verändert sein.
Psychopharmaka greifen regulierend ein: Sie erhöhen oder verringern zum Beispiel die Menge der Neurotransmitter im synaptischen Spalt oder beeinflussen die Anzahl sowie die Empfindlichkeit der Rezeptoren an der postsynaptischen Nervenzelle. Neue Forschungsansätze nehmen Genexpression und Neuroplastizität im Gehirn ins Visier. So ist zum Beispiel bei depressiven Patienten die veränderte Proteinsynthese und die verminderte Neubildung von Neuronen mit bildgebenden Verfahren nachweisbar.