Krankheit mit 1000 Gesichtern |
Krankheitsursache ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems: Statt gegen Krankheitserreger richtet sich die körpereigene Abwehr bei MS gegen die Hüllen von Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark. Diese sogenannten Myelinscheiden umgeben die Nervenbahnen wie eine Isolierschicht ein elektrisches Kabel und sorgen für eine reibungslose und schnelle Weiterleitung der elektrischen Nervenimpulse. Die Autoimmunreaktion führt zu herdförmigen Entzündungsprozessen, die die Myelinscheide zerstören. Dadurch werden die Impulse langsamer und oft fehlerhaft übertragen. Je nachdem, welche Nervenbahnen betroffen sind, kann das die unterschiedlichsten Körperfunktionen beeinträchtigen. Im weiteren Verlauf kommt es im Nervengewebe zu zahlreichen Narbenbildungen. Diese sogenannten Sklerosen haben der Erkrankung ihren Namen gegeben.
Warum sich das Immunsystem gegen körpereigene, gesunde Nervenfasern richtet, konnten Forschende noch nicht vollständig klären. Vermutlich müssen mehrere Faktoren zusammentreffen, damit die Erkrankung ausbricht. Als sicher gilt, dass genetische Einflüsse eine Rolle spielen: Wissenschaftler fanden eine ganze Reihe von Genvarianten, die bei MS-Patienten häufiger als in der Normalbevölkerung auftreten. Sie tragen möglicherweise zu einer erhöhten Erkrankungsneigung bei. Allerdings ist deren Einfluss nicht sehr groß: Selbst bei eineiigen, also genetisch identischen Zwillingen liegt das MS-Risiko nur bei 25 Prozent, wenn ein Zwilling erkrankt ist.
Auch geografische Bedingungen beeinflussen das Risiko: Mit zunehmendem Abstand vom Äquator kommt MS immer häufiger vor. Das lässt vermuten, dass die Sonneneinstrahlung und die damit verbundene Vitamin-D-Produktion protektiv wirken. Zudem gibt es Hinweise, dass bestimmte Virusinfektionen das selbstaggressive Verhalten des Immunsystems fördern – etwa durch Epstein-Barr-, Masern- oder Herpesviren.
Im MRT lassen sich die Entzündungsherde und Sklerosen im Gehirn nachweisen. Um MS zu diagnostizieren, ist zusätzlich normalerweise eine Lumbalpunktion notwendig. Dafür entnimmt der Neurologe im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit einer Hohlnadel Nervenwasser (Liquor), das das Rückenmark und Gehirn umspült. Bei MS finden sich darin meist Immunglobuline, die bei der Elektrophorese als charakteristische Muster, sogenannte oligoklonale Banden, sichtbar werden. Die endgültige Diagnose erfolgt anhand der international anerkannten McDonald-Kriterien: Sie definieren, bei welcher Anzahl und zeitlichen Verteilung von Befunden eine MS vorliegt. Lässt sich nach einem ersten Schub eine MS radiologisch noch nicht eindeutig nachweisen, lautet die Diagnose »klinisch isoliertes Syndrom«.