Mehr Gemüse, fittere Zellen |
Wesentlich für den Gesundheitsbonus, der von Gemüse ausgeht, sind neben den Ballaststoffen die enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe. Von den rund 100 000 bekannten Substanzen kommen etwa 8000 bis 10 000 in Gemüse, Obst, Pilzen, Samen und Nüssen vor. Die allermeisten gehören zur Stoffklasse der Polyphenole, darunter so bekannte Vertreter wie die Catechine, Anthocyane oder Resveratrol des Rotweins.
Sie kommen in der Pflanze in Gemischen von mehreren Hundert vor und bilden sogenannte Phytokomplexe – Gemüse bringt deutlich mehr mit als Obst. Und: Je diverser die Mischung, desto vielfältiger ist der zu erwartende Effekt. So erklären sich die 25 verschiedenen Gemüsesorten, die Longo pro Woche empfiehlt. Schätzungen zeigen, dass Mischköstler etwa 1,5 g Polyphenole täglich zu sich nehmen, Vegetarier deutlich mehr. Zufuhrempfehlungen für sekundäre Pflanzenstoffe gibt es bislang keine.
Anders als ihre Bezeichnung vermuten mag, sind die bevorzugt in den Randschichten oder der Schale anzutreffenden Substanzen keinesfalls Inhaltsstoffe zweiter Klasse, sondern maßgeblich an der gesundheitsfördernden Wirkung beteiligt. Freilich wirken einige sekundäre Pflanzenstoffe direkt als Antioxidanzien, doch die meisten Polyphenole werden erst nach dem mikrobiellen Umbau durch die Dickdarmbakterien bioaktiv. Die dabei entstehenden Metabolite wirken zum Beispiel entzündungshemmend, andere fördern Autophagieprozesse, also die Zellreinigung und das Müllrecycling, wieder andere fahren die Leistung der Mitochondrien nach oben oder helfen bei der Beseitigung geschädigter Zellen im Apoptose-Prozess.
Molekularbiologen konnten in den vergangenen Jahren aufdecken, dass Polyphenole sogenannte Sirtuine zu stimulieren vermögen. Diese Enzyme übernehmen in der Stoffwechselsteuerung eine tragende Rolle. So erhöhen sie die DNA-Reparaturleistung im Zellkern, indem sie an der DNA bestimmte Eiweißstrukturen stilllegen. Das verschafft den Reparaturenzymen Zeit, Schäden am Erbmaterial zu beheben. »Wenn das an Stammzellen geschieht, dürfte das für die Gesunderhaltung förderlich sein«, schreibt Nina Ruge in ihrem Buch. Der zweite wesentliche Sirtuin-Effekt ist die Aktivierung der Mitochondrien. Sie fahren die Aktivität der Zellkraftwerke hoch und können so zur Teilung anregen – was dem Kräftehaushalt zugutekommt. Die sogenannte Sirtuin-Diät mit Sirtfood – bekannt geworden durch den Abnehmerfolg der britischen Sängerin Adele – nutzt diese Effekte.
Neuere Studien belegen den Gemüse-Effekt: Je mehr davon verzehrt wurde, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, geistig abzubauen. Ein zweites Beispiel: Je mehr Polyphenole ältere Menschen verzehrt hatten, desto breiter war ihr Darm besiedelt. Das reduzierte ihr Risiko, ein Leaky-gut-Syndrom, also einen löchrigen Darm, zu entwickeln, bei dem giftige Substanzen ins Blut passieren und mit chronischen Alterungsprozessen assoziiert sind. Und: Eine groß angelegte US-Studie aus dem vergangenen Jahr analysierte eine geringere Todesrate durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wenn ältere Menschen länger als drei Jahre verschiedene Kakaoextrakte (ohne Zucker) zu sich genommen hatten. Raucher profitierten besonders.