Pharmakotherapie im Alter |
Die Verträglichkeit von Arzneimitteln im Alter wird auch dadurch beeinträchtigt, dass Zellen und Gewebe, etwa das Nervensystem, selbst anfälliger werden oder weil Kompensationsmechanismen nicht mehr so gut funktionieren. Dazu erklärt Thürmann: »Ein klassischer Fall sind Medikamente, die rasch den Blutdruck senken, worauf gesunde junge Menschen mit einem etwas schnelleren Puls gegenregulieren.« Das Blut versackt dann nicht in die Beine, und es treten keine Symptome wie eine Ohnmacht auf. Im Alter sei die Gegenreaktion verzögert und viel schwächer, so dass Senioren leichter schwindelig werde oder sie gar in Ohnmacht fallen. »Nebenwirkungen haben bei älteren Menschen auch häufig schlimmere Konsequenzen. Wenn es einem jüngeren Menschen schwindelig wird, so kann er sich in der Regel aufrecht halten. Im Alter kommt die nachlassende Sehkraft hinzu, und die Knochen sind schon etwas brüchig. So steigt das Risiko zu stürzen und sich dabei etwas zu brechen«, so die Expertin.
Nicht immer ist es einfach, Nebenwirkungen von normalen Alterserscheinungen zu unterscheiden. Wenn Patienten vermehrt Schwindel, Verwirrung, Unruhe, Erinnerungsstörungen, eine erhöhte Sturzgefahr, Mundtrockenheit, Magen-Darm-Probleme, Beschwerden beim Wasserlassen oder Schlafstörungen an sich feststellen, sind sie mitunter versucht, diese »aufs Alter« zu schieben. Die PTA sollte gezielt nachfragen, ob die Beschwerden schon länger bestehen oder ob sie eher plötzlich, beispielsweise nach einer Medikamentenumstellung (verstärkt), aufgetreten sind.
Je älter, desto mehr: Die Zahl der eingenommenen Arzneimittel steigt stetig an, nur bei den Hochbetagten nimmt sie geringfügig ab. Die genannten Zahlen berücksichtigen nur Arzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden (Quelle: Schwabe/Paffrath; Arzneiverordnungsreport 2017; Angaben in definierten Tagesdosen [DDD]). / Foto: PTA-Forum
Unter den von betagteren Patienten häufig gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hormon- und Stoffwechselstörungen, Schmerzen oder psychiatrische Störungen eingenommenen Medikamenten befinden sich einige, die für ältere Menschen weniger gut geeignet sind als für jüngere. Dazu gehören Diuretika. Für ältere Menschen, die an Blasenschwäche oder gar Inkontinenz leiden, kann die angeregte Nierentätigkeit höchst unangenehm sein. Betroffene Patienten schämen sich jedoch oft, mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt beziehungsweise dem Apothekenteam über ihr Problem zu sprechen und nehmen die Medikamente stattdessen einfach nicht mehr ein.
Eine Liste von »potenziell inadäquaten Medikamenten« für Ältere, kurz PIM, fasste das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt PRISCUS (von lateinisch priscus = alt, altehrwürdig) in der sogenannten PRISCUS-Liste zusammen. Diese 2010 veröffentlichte Liste beinhaltet 83 Wirkstoffe aus 18 Arzneistoffklassen und wurde 2018 nach einem Europäischen Konsensverfahren auf 98 Wirkstoffe erweitert. Diese Erweiterung ist bislang nur in der »Laien-Version« publiziert. Interessierte können hier die Veröffentlichung einsehen und eine Printversion bestellen.
Senioren, die ein Medikament einnehmen sollen, das auf dieser Liste steht, müssen nicht zwangsläufig Nebenwirkungen bekommen, das Risiko dafür ist aber erhöht. Verunsicherte Patienten dürfen die Medikamente keinesfalls eigenständig absetzen, sondern sollten zunächst mit ihrem Arzt sprechen. Es kann sein, dass sich Alternativen nicht eignen, da sie zum Beispiel im individuellen Fall unverträglich sind oder der Arzt wegen möglicher Interaktionen der Alternativen mit anderen für den Betroffenen wichtigen Arzneimitteln ein Präparat von der PRISCUS-Liste verschreiben muss. Für eine Beratung zum Risikopotential steht auch das Apothekenteam zur Verfügung.