Schmerz hat oft eine Vorgeschichte |
Oft gemeinsam: Depressionen können zu Schmerzen führen und chronische Schmerzen wiederum gehen auch häufig mit Depressionen einher. / Foto: Adobe Stock/marjan4782
Wenn eine Person starke Schmerzen hat, gehe man oft davon aus, dass es einen Tag X gibt, bis zu dem alles gut war. Dann sei mit einem Mal etwas passiert ist, das akute Schmerzen auslöst und zum Beginn eines chronischen Verlaufs wird, berichtet Dr. Michael Überall, Leiter des Exzellenzzentrums für Versorgungsforschung in Nürnberg, im Gespräch mit PTA-Forum. »Das ist aber bei den wenigsten Menschen so einfach – es gibt immer eine Vorgeschichte, die wir viel zu wenig mit einbeziehen.«
So belegen Studien, dass etwa die Hauptursache für langanhaltende Schmerzen nach einer Operation keinesfalls Mängel an Hygiene oder medizinischer Expertise der Behandelnden seien, »sondern die persönliche (Vor-)Geschichte, die die Patienten mit in die OP nehmen.« So tun sich Menschen mit depressiver Stimmungslage, dauerhaften Alltagsbelastungen oder Konflikten in Beruf und Familie mit auftretenden Schmerzen besonders schwer. Menschen mit einem aktiven Lebensstil können dagegen statistisch besser mit auftretenden Schmerzen umgehen und empfänden sie auch eher als vorübergehend.
Auch das allgemeine Gesundheitsverhalten spielt für die Schmerzbewältigung eine Rolle: Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Kontakte und Freiheit von Nikotin-, Alkohol- oder anderen ungesunden Konsumgütern. Als »krankheitsförderndes Schmerzverhalten« bezeichnet der Präsident der Deutschen Schmerzliga zudem »ein ausgeprägt ängstliches Schon- und Vermeidungsverhalten bei körperlichen Aktivitäten, ebenso aber auch einen extremen Durchhaltewillen, der den körperlichen (Schwäche)Zustand einfach ignoriert.« Alarmierend sind schließlich Studien wie eine US-amerikanische Arbeit vom März 2024, veröffentlicht im Fachjournal »Pain«, der zufolge 56 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner mit chronischen Schmerzen auch an – nicht behandelten – depressiven Symptomen und Ängsten leiden.
Idealerweise kann eine rechtzeitig einsetzende und ganzheitlich orientierte Therapie verhindern, dass Schmerzen chronisch werden. Der erste Schritt bei länger als erwartet anhaltenden oder wiederkehrenden Schmerzen sollte deshalb eine Diagnostik sein, bei der Fachleute aus verschiedenen Disziplinen versuchen, gemeinsam chronifizierungsfördernde Aspekte (zum Beispiel im Rahmen einer interdisziplinären Schmerzkonferenz) zu identifizieren. Falls erforderlich, sollte sich eine multimodale Schmerztherapie anschließen, die in der Regel von Fachleuten aus Medizin, Physiotherapie und Psychotherapie betreut wird. Eine solche Behandlung kombiniert Bewegung, Schulungen, Entspannungstechniken und die Behandlung mit Medikamenten. Gleichzeitig vermitteln Psychotherapeuten in Gruppen- oder Einzelgesprächen psychologische Strategien, die helfen, mit andauernden Schmerzen zurechtzukommen und mit Belastungen bei der Arbeit oder in der Familie umzugehen.
Derlei Programme bieten nicht nur Schmerzkliniken, psychosomatische Abteilungen in Krankenhäusern sowie orthopädische, psychosomatische oder rheumatologische Rehabilitationszentren an, sondern auch zahlreiche qualifizierte Schmerztherapeuten. Sie können sowohl vollstationär in einer Klinik als auch ambulant oder teils in der Klinik, teils ambulant stattfinden und dauern üblicherweise zwei bis vier Wochen.
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die meist in einer multimodalen Behandlung enthalten ist, gehöre zu den wirksamsten Behandlungen bei chronischen Schmerzen im unteren Rücken, informiert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Während der Behandlung lernen Patienten unter anderem, Ängste und Gedanken abzubauen, mit denen sie das Schmerzempfinden verstärken. Ein Beispiel ist die verbreitete Angst, dass körperliche Aktivitäten dem Rücken schaden – obwohl Bewegung hilft, die Muskulatur zu kräftigen und Schmerzen vorzubeugen. Oft werden im Rahmen der Behandlung auch Entspannungstechniken vermittelt.