Schwerhörigkeit hat Folgen |
In Deutschland sind rund 14 Millionen Menschen von einer Altersschwerhörigkeit betroffen. Doch nur jeder Zweite nutzt ein Hörgerät, um den Hörverlust auszugleichen. Dass das drastische Folgen haben kann, wird in den letzten Jahren immer deutlicher. Werden Gesprächsinhalte nur eingeschränkt verstanden, versuchen Betroffene dies zunächst durch Nachfragen oder eine Erhöhung der Lautstärke auszugleichen. Später wird Nichtverstandenes, durch Assoziations- und Ratemechanismen anhand des vermuteten Sinns ergänzt. Insbesondere Letzteres erfordert ein hohes Maß an kognitiver Mehrarbeit und ist anstrengend. Viele Betroffene ziehen sich mit Fortschreiten der Schwerhörigkeit immer häufiger zurück, um wieder zur Ruhe zu kommen, oder gehen Aktivitäten, die ein gutes Hören voraussetzen, von Vornherein aus dem Weg.
Zunehmende soziale Isolation und Einsamkeit sind bekannte Begleiter einer Altersschwerhörigkeit und können ihrerseits die Entwicklung einer Depression fördern. Wie eng dieser Zusammenhang ist, haben Wissenschaftler der Columbia University anhand der Daten von mehr als 5000 Menschen ab 50 Jahren untersucht. Jeder Studienteilnehmer unterzog sich einem Hörtest und wurde auf depressive Symptome getestet.
Dabei zeigte sich: Studienteilnehmer mit einem leichtem Hörverlust litten fast doppelt so häufig unter depressiven Symptomen wie Teilnehmer ohne Hörbeeinträchtigung. Bei den Teilnehmern mit starkem Hörverlust trat die depressive Symptomatik viermal häufiger auf als bei gut hörenden Teilnehmern. Statistisch betrachtet erhöhte sich das Risiko für eine Depression pro 20 Dezibel (dB) Hörverlust um das 1,5-Fache.
Neben sozialen Komponenten vermuten viele Forscher inzwischen auch eine kognitive Komponente, die nicht nur die Entwicklung von Depressionen, sondern auch von Ängsten und suizidalen Vorstellungen bei einem unbehandelten Hörverlust begünstigen könnte. So ist bekannt, dass eine unbehandelte Schwerhörigkeit die Frontalhirnregion verändert. Das wirkt sich auf die Fähigkeit aus, auf emotional herausfordernde oder belastende Situationen angemessen zu reagieren und aufkommende Emotionen zu regulieren.
Auch bei Demenzerkrankungen spielt schlechtes Hören eine wichtige Rolle. Fehlen akustische und soziale Reize dauerhaft, ist das Gehirn unterfordert. Das kann den kognitiven Abbau beschleunigen. Gleichzeitig ist die Verarbeitung von schlecht wahrgenommenen Geräuschen und Stimmen mit wesentlich mehr kognitiver Anstrengung verbunden und erzeugt Stress im Gehirn, der sich negativ auf das Sprachzentrum und das Arbeitsgedächtnis auswirkt. Alles gemeinsam scheint ein bedeutender Risikofaktor für die Entstehung einer Demenz zu sein.
Wie stark dieser ausfällt, zeigen Daten, die Wissenschaftler vom Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit Forschungszentren aus Hamburg, Bonn und Hannover über 20 Jahre erfasst und ausgewertet haben. Eingeschlossen wurden in der repräsentativen Studie 3500 Menschen über 75 Jahren. Nach Angaben der Forscher berichteten 30 Prozent der Teilnehmer zu Beginn der Studie von einer Hörminderung, gut ein Viertel entwickelte eine Demenz.
Das ermittelte Demenzrisiko der Studienteilnehmer mit Hörminderung war im Vergleich zu gut hörenden Probanden um 16 Prozent erhöht. Die durchschnittliche Zeit vom Studienstart bis zum Beginn der Krankheit betrug fünfeinhalb Jahre. Aus anderen Studien ist zudem bekannt, dass eine Hörminderung im Fall einer Demenz auch den Krankheitsverlauf negativ beeinflusst.