Seltene Erkrankungen in der Summe häufiger als gedacht |
»Es ist in der Regel das akribische Nachfragen und Sichten von Befunden, das uns ans Ziel führt«, sagt Schäfer. »Wobei wir auch nicht immer eine Lösung finden. Und selbst wenn wir eine Diagnose haben, heißt das leider noch lange nicht, dass es dafür dann auch eine Therapie gibt. Die meisten seltenen Krankheiten kann man noch nicht heilen.« Symptome lassen sich nach der Diagnose aber möglicherweise besser behandeln und vielen helfe es auch, wenn ihr Leiden einen Namen hat.
Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen werden Orphan Drugs genannt. Laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) zählt rund ein Drittel der Medikamente, die in den vergangenen fünf Jahren neu auf den Markt kamen, zu dieser Gruppe. Ihre Zulassungsbestimmungen unterscheiden sich nicht von Medikamenten, die einer Vielzahl von Menschen helfen. Um die Entwicklung von Orphan Drugs zu unterstützen, gibt es aber Sonderkonditionen für forschende Pharmaunternehmen. So entfallen etwa Gebühren für die Zulassung, und zugelassene Orphan Drugs bekommen zusätzlich zum Patentschutz zehn Jahre lang eine Marktexklusivität. Das heißt, sie sind vor Konkurrenz durch Wettbewerbspräparate geschützt – außer, die neuen Mittel sind wirksamer oder verträglicher als das entsprechende Orphan Drug.
Um einer Krankheit auf die Spur zu kommen, gehen Ärzte schrittweise vor. Schäfer bezeichnet das als Diagnose 1.0 bis 4.0. Am Anfang stehen die Anamnese und die körperliche Untersuchung, gefolgt von Untersuchungen mithilfe von Geräten, zum Beispiel EKG, Ultraschall oder MRT und der Labordiagnostik, von Blutwerten bis hin zu Genanalysen. Bei der Diagnose 4.0 kommt die moderne Computertechnologie ins Spiel, auch künstliche Intelligenz. »Damit erweitern sich unsere Möglichkeiten enorm.«
So gelingt es dem Marburger Ärzteteam nicht nur, seltene Erkrankungen sondern manchmal auch unerkannte Zusammenhänge aufzuspüren. Schäfer: »Wir hatten zum Beispiel einen Patienten, der wegen Diabetes mellitus mit Metformin behandelt wurde. Trotz der insgesamt guten Blutzuckerwerte entwickelte er eine schwere periphere Polyneuropathie. Dies wurde zunächst dem Diabetes zugeschrieben. Letztlich konnten wir aber zeigen, dass ein Vitamin-B12-Mangel die Ursache war, der sich dann gut behandeln ließ. Leider wird oft vergessen, dass die Einnahme von Metformin in seltenen Fällen auch zu einem Vitamin-B12-Mangel führen kann.«