Vom Schmerz in die Sucht |
Juliane Brüggen |
22.03.2024 12:00 Uhr |
Eine Abhängigkeit schleicht sich oft langsam ein. / Foto: Getty Images/Jose Jonathan Heres
»Sucht wächst sich nicht aus, Sucht kommt in jedem Alter vor«, so Oliver Pogarell. Gerade im höheren Alter sei das Risiko für eine Abhängigkeit aufgrund von Ko- und Multimorbiditäten erhöht. Oft gehe es dabei um psychotrope Medikamente wie Opioide und Sedativa. Probleme im Umgang mit den Substanzen haben in Deutschland etwa 5 bis 6 Prozent der Erwachsenen. Frauen sind etwa doppelt so oft betroffen wie Männer.
Die Grenzen zwischen dem verordneten und dem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch sind fließend. »Es passiert oft unabsichtlich«, sagt Pogarell – etwa um Symptome lindern. Am Anfang ist es vielleicht eine Schmerz- oder Schlaftablette mehr, dann schleicht sich ein Dauergebrauch ein oder immer höhere Dosen. Dabei können auch »angenehme Begleiteffekte« wie Euphorie eine Rolle spielen. Der Experte betont, dass Sucht eine chronische Erkrankung ist, »nicht zuletzt, weil sich strukturelle Veränderungen im Gehirn zeigen«.
Problematisch ist nicht nur die Sucht selbst: »Suchterkrankungen sind ein unabhängiger Risikofaktor für Suizidalität«, so Pogarell. Depression, Angst- und Schlafstörungen sind oft begleitend zu finden. Typische körperliche Symptome sind Schwindel, Herzrasen, Magen-Darm-Probleme und diffuse Schmerzen. Auch die erhöhte Sturz- und Unfallgefahr ist nicht zu unterschätzen, gerade bei Senioren. »Alle Organsysteme können von psychotropen Substanzen betroffen sein «, so Pogarell.
Auch wenn die Übergänge fließend sind, unterscheiden Ärzte oft zwischen Missbrauch/schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit. Letztere beschreibt ein Krankheitsbild, das durch die Anwendung von Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial entsteht. Dazu zählen unter anderem Opioid- und Opiat-Schmerzmittel, Arzneimittel aus den Gruppen Sedativa, Hypnotika, Tranquilizer und Anxiolytika, zum Beispiel Benzodiazepine oder Z-Substanzen, sowie zentral wirksame Stimulanzien wie Methylphenidat oder Pseudoephedrin. Arzneimittel, die missbraucht werden, aber nicht abhängig machen, sind zum Beispiel Laxanzien oder Diuretika. Mittlerweile werden Medikamentenmissbrauch und Abhängigkeit auch unter dem Oberbegriff Substanzgebrauchsstörung zusammengefasst (DSM-5).
In der Apotheke fallen unerwünschte Wirkungen durch Medikationsfehler, Fehl- und Missbrauch, Gewöhnung und Abhängigkeit unter den Begriff »Arzneimittelrisiken« und müssen gegebenenfalls an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gemeldet werden. Gut zu wissen: Bei begründetem Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch entfällt der Kontrahierungszwang der Apotheke.