Von wegen lustig |
Barbara Döring |
23.07.2025 08:00 Uhr |
Verantwortlich für die Verdrehung der Geschmacksempfindung ist der Inhaltsstoff mit dem bezeichnenden Namen Miraculin. Das Glycoprotein besetzt die Rezeptoren für Süßes, ohne selbst einen Geschmack auszulösen. Kommt jedoch Säure hinzu, verursacht das Protein eine intensive süße Geschmacksempfindung, obwohl man zum Beispiel gerade in eine Zitrone gebissen hat. Diese schmeckt dann eher mild und fruchtig wie eine Orange. Trockener Riesling wird gefühlt zu Traubensaft und Essig zu süßem Sirup. Aus den USA wurde von »flavour tripping«-Partys berichtet, auf denen sich Teilnehmer trafen, um den veränderten Geschmack, den Miraculin bei verschiedenen sauren Lebensmitteln auslöst, zu testen. Als die New York Times von den Events berichtete, löste sie zeitweilig einen Hype um die Wunderbeere aus.
Im Jahr 2021 hat die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) die Sicherheit der getrockneten Früchte von Synsepalum bewertet. Demnach ist die Aufnahme ernährungsphysiologisch nicht nachteilig und es gibt keinen Hinweis auf Genotoxizität. Der Verzehr von täglich 10 mg pro kg Körpergewicht gilt als sicher. Wissenschaftler arbeiten an synthetisch erzeugten Substanzen, mit ähnlicher Wirkung, um unangenehme Geschmäcker, etwa den Bittergeschmack von manchen Arzneimitteln, zu überdecken. Zudem wurde Miraculin bereits als alternativer Süßstoff für Diabetiker eingesetzt, da es nicht den unangenehmen Nachgeschmack manch anderer Süßstoffe aufweist. Auch gab es Versuche, ein verändertes Geschmacksempfinden, das unter einer Chemotherapie auftreten kann, mithilfe von Miraculin zu verbessern.
Denn auch einzelne Medikamente sind in der Lage, Geschmacksempfindungen zu verändern. Dann ist von Dysgeusie die Rede. So kann das Chemotherapeutikum 5-Fluorouracil die saure, aber auch bittere Wahrnehmung versüßen, da es die Mundschleimhaut und Geschmacksrezeptoren schädigen kann. Das Vitamin-A-Derivat Isoretinoin wiederum, das bei schwerer Akne zum Einsatz kommt, kann die Geschmackswahrnehmung für Saures verändern. Nach der Therapie kommt der normale Geschmack in der Regel wieder zurück.
Auch wenn Saures uns nicht unbedingt zum Lachen bringt, scheint es dennoch unsere Gefühle zu beeinflussen. So deutet eine Studie der University of Sussex in Brighton darauf hin, dass Saures zu genießen, mutiger machen könnte. Probanden, die zuvor Zitronensäure zu trinken bekamen, agierten anschließend bei einem Glücksspiel risikofreudiger. Die Teilnehmer wurden durch den sauren Reiz dabei unabhängig von ihren persönlichen Eigenschaften mutiger. Wie dieser Effekt zustande kommen könnte, ist unklar. Die Forschenden hoffen jedoch, dass die Ergebnisse zur Verhaltensänderung bei der Bekämpfung von Angststörungen und Depressionen behilflich sein könnten. Und zumindest Freunde von TikTok-Challenges dürften ihren Spaß mit Saurem haben. Unter dem Hashtag #sauregurken teilen sie ihre Erlebnisse beim Biss ins eingelegte Gemüse. Zumindest den Beteiligten treibt der Nonsens dann doch die Tränen in die Augen.
So manche Speise lässt sich durch säuerlichen Essig im Geschmack verfeinern. Doch was, wenn ein Schuss zu viel in der Speise gelandet ist? Ein Teelöffel Natron oder Backpulver kann helfen, den Geschmack von Essig zu neutralisieren, rät die Verbraucherzentrale. Beim Hinzufügen schäumt die Speise leicht auf, schmeckt dann aber wieder milder. Auch Milch- oder Milchersatzprodukte mildern Säure und können den Geschmack ausbalancieren. Sie sollten jedoch erst kurz vor Ende des Kochvorgangs zugefügt werden, damit sie nicht ausflocken. Schließlich lassen sich zu sauer geratene Suppen und Co. auch mit Wasser strecken oder man gibt Kartoffeln, Gemüse, Reise oder Nudeln dazu und lässt sie mitkochen. Kalte Speisen, die zu sauer geraten sind, etwa eine Salatsoße, lassen sich mit Sahne retten. Zudem fungiert Süßes wie Zucker oder Honig als Gegenspieler. Wer es lieber herber mag, kann mit Gewürzen oder Salz den Sauergeschmack lindern. Köche geben Zitronensaft oder Essig meist erst am Ende des Kochvorgangs ans Gericht, um sauren Geschmack stärker zum Tragen zu bringen. Denn je länger eine Speise kocht, umso mehr schwindet die Säure.