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Saurer Geschmack

Von wegen lustig

Saures macht zwar nicht unbedingt lustig. Dafür aber mutig. Was es damit auf sich hat und warum wir leicht Säuerliches mögen, bei starkem Säuregeschmack jedoch das Gesicht verziehen.
AutorKontaktBarbara Döring
Datum 23.07.2025  08:00 Uhr

Sauer macht lustig – das besagt ein bekanntes Sprichwort. Belegt ist das nicht. Vermutlich steckt eher eine falsche Übersetzung hinter der Annahme, Saures würde die Laune heben. Schon im 17. Jahrhundert kannte man den Spruch »Sauer macht gelüstig«, womit gemeint war, dass saure Speisen Lust aufs Essen machen. Und da steckt schon mehr Wahrheit dahinter. Denn Saures regt die Speichelproduktion an und fördert so den Appetit. In vielen sauren Lebensmitteln stecken zudem gesunde Inhaltsstoffe wie Milchsäure, die dem Darm und der Verdauung zugutekommt.

Sauer zählt neben süß, salzig, bitter und umami bekanntlich zu den fünf Geschmacksrichtungen. Dass der Mensch Geschmack wahrnehmen kann, ist lebenswichtig. Dabei hat jede Grundgeschmacksart ihre Funktion. Während süß, umami und salzig Kalorien, Proteine und Elektrolyte anzeigen, haben die Geschmäcker bitter und sauer vor allem Warnfunktionen. Sowohl bitter als auch sauer schmeckende Speisen können verdorben und somit unverträglich sein. So spielt der Sauergeschmack eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Bekömmlichkeit von Lebensmitteln zu bewerten.

Hinweis auf Verdorbenes

Sauer schmecken vor allem saure Lösungen wie Zitronensaft oder organische Säuren. Ausgelöst wird der Reiz durch Wasserstoff-Ionen beziehungsweise Protonen (H+), die eine Säure in wässriger Lösung abspaltet. Je mehr Protonen in Lösung gehen, umso stärker ist ihre Azidität. Höhere Säurekonzentrationen besitzen beispielsweise bakteriell verdorbene Lebensmittel. So entwickelt Milch, die ihre Haltbarkeit überschritten hat, oder vergorenes Obst irgendwann einen säuerlichen Geschmack. Zudem schmeckt unreifes Obst, das nicht bekömmlich ist, in der Regel sauer. Säure zu erkennen, hilft dem Organismus außerdem dabei, Gewebeverletzungen zu vermeiden oder Störungen des Säure-Basen-Haushalts abzuwenden, die bei Aufnahme starker Säuren drohen.

Säurekonzentrationen wie sie in üblichen Nahrungsmitteln wie Zitrusfrüchten enthalten sind, schaden dem Körper dagegen nicht. Ob ein Lebensmittel nach der Verdauung sauer oder basisch wirkt, hat nichts mit seinem Geschmack zu tun. So wirken Fleisch und Milch nach der Säure-Base-Theorie säurebildend, Zitrusfrüchte dagegen basisch. Bei einer ausgewogenen Ernährung sorgen die pH-Puffersysteme im Körper dafür, das Säure-Basen-Gleichgewicht zu halten. So gibt es auch für die Verwendung von Zitronensäure in Lebensmitteln keinen Höchstwert. Wer sich jedoch gerne häufig saure Bonbons oder Fruchtgummis schmecken lässt, sollte daran denken, dass die enthaltene Säure den Zahnschmelz angreift. Ein allzu saurer Lolli soll vor ein paar Jahren in Australien sogar die Zunge eines Kindes verätzt und ein Loch in der Schleimhaut verursacht haben.

Ein milder Säuregeschmack, etwa von Zitrusfrüchten, Essig oder Joghurt, wird dagegen eher als angenehm empfunden. So haben Kaffee, Wein oder Bier einen sauren pH-Wert. Und nicht nur Genussmittel aktivieren die Geschmackswahrnehmung sauer. Untersuchungen konnten vor ein paar Jahren zeigen, dass zumindest Mäuse Wasser mit den gleichen Rezeptoren auf der Zunge wahrnehmen wie Säure. Die Forschenden stellten fest, dass die Mäuse Wasser nicht mehr schmecken und nicht von dünnflüssigem Silikonöl unterscheiden konnten, wenn ihre Säurerezeptoren im Mund deaktiviert wurden.

Geschmack von Wasser

Bis dahin war unklar, ob man Wasser überhaupt schmecken kann. Allerdings gibt es schon länger Hinweise, dass das lebensnotwendige Nass über Geschmacksrezeptoren wahrgenommen wird: Isst man etwas Salziges, schmeckt Wasser, das man danach trinkt, eher süßlich. Wasser zu schmecken, wird laut den Wissenschaftlern dadurch möglich, dass es den Speichel im Mund verdünnt und so den Ionengehalt verändert, was von Säurerezeptoren registriert wird. Auch in Wasser gelöste Kohlensäure wird von den Geschmacksrezeptoren für Saures wahrgenommen. Um das Sprudelgefühl zu empfinden, braucht es allerdings weitere Sensoren, die das Prickeln registrieren und gemeinsam mit CO2 die typische Geschmacksempfindung für Sprudelwasser vermitteln.

Während die Funktion der Sinne Sehen oder Riechen schon lange aufgeklärt ist, verhält es sich mit dem Geschmackssinn sauer etwas komplizierter. Erst vor gut 20 Jahren haben Wissenschaftler des Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam entdeckt, dass ein spezieller Ionenkanal in der Zellmembran der Geschmackszellen, der normalerweise den Herzschlag steuert und an Gehirnfunktionen beteiligt ist, die Geschmacksempfindung sauer vermittelt. Erst bei hohen Protonen-Konzentrationen öffnet sich der Kanal und lässt Ionen hindurch, sodass sich die elektrische Spannung der Membran ändert.

Wahrgenommen wird Saures – anders als lange angenommen – auf allen Bereichen der Zunge, wobei die seitlichen Bereiche etwas empfindlicher reagieren. Aufgrund einer falschen Interpretation der sogenannten Zungenlandkarte, die ein Forscher im vergangenen Jahrhundert erstellte, vermutete man spezielle Geschmacksregionen für die einzelnen Geschmacksqualitäten auf der Zunge. Sauer sollte demnach ausschließlich an den seitlichen, hinteren Bereichen zu schmecken sein. Inzwischen ist klar, dass alle Geschmacksrezeptoren auf der gesamten Zunge verteilt sind, auch wenn die Rezeptordichte in der Zungenmitte geringer ist.

An Saures gewöhnen

Neugeborene können bereits den Geschmack von Saurem, Bitterem und Süßem wahrnehmen, wobei sie Saures und Bitteres ablehnen. Schließlich geht es zunächst einmal darum, Kalorien aufzunehmen und potenziell Ungenießbares zu vermeiden. Die anderen Geschmacksrichtungen entwickeln sich erst nach der Geburt. Dass später leicht Saures als angenehm empfunden wird, liegt an positiven Geschmackserlebnissen, etwa beim gemeinsamen Genießen, aber auch an der Vorbildfunktion der Eltern. Zudem nimmt mit dem Alter die Zahl der Geschmacksknospen ab. Kinder haben noch mindestens doppelt so viele davon auf der Zunge wie Erwachsene und reagieren entsprechend empfindlicher auf Saures.

Anders als Menschen lassen sich viele Vögel von sauren Reizen übrigens nicht so leicht abschrecken. Forschende der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben erst kürzlich herausgefunden, warum die Tiere auch den extrem sauren Geschmack mancher Früchte aushalten. Bei einigen Vogelarten verändert sich der Rezeptor für sauren Geschmack, sobald sie saure Nahrung zu sich nehmen. Er lässt weniger Protonen hindurch und Saures wird weniger intensiv wahrgenommen. Blockiert man diesen Mechanismus künstlich, sinkt auch die Säuretoleranz der Tiere. Das Genom von Singvögeln hat gleich vier Mutationen für die veränderte Geschmackswahrnehmung, sodass sie unter allen Vogelarten die höchste Säuretoleranz besitzen.

Einen anderen Trick, um saure Lebensmittel appetitlicher zu machen, haben die Ureinwohner Ghanas parat. Denn der Geschmackssinn für Saures lässt sich täuschen, zumindest wenn die afrikanische Wunderbeere Synsepalum dulcificum – auch Richadella dulcifica genannt – im Spiel ist. Anfang des 18. Jahrhunderts beobachtete der französische Kartograf Chevalier des Marchais auf seinen Erkundungsreisen durch Westafrika, dass sich Eingeborene eines ghanaischen Dorfs, die sich vor allem von saurem Getreidebrei, sauren Suppen und vergorenem Palmbier ernährten, vor jedem Essen rote Beeren schmecken ließen und so ihre Speisen versüßten. Heute ist bekannt, dass die Beeren, die selbst als fade im Geschmack beschrieben werden, saure Speisen süß schmecken lassen, wenn sie als Vorspeise genossen werden.

Verhexte Wahrnehmung

Verantwortlich für die Verdrehung der Geschmacksempfindung ist der Inhaltsstoff mit dem bezeichnenden Namen Miraculin. Das Glycoprotein besetzt die Rezeptoren für Süßes, ohne selbst einen Geschmack auszulösen. Kommt jedoch Säure hinzu, verursacht das Protein eine intensive süße Geschmacksempfindung, obwohl man zum Beispiel gerade in eine Zitrone gebissen hat. Diese schmeckt dann eher mild und fruchtig wie eine Orange. Trockener Riesling wird gefühlt zu Traubensaft und Essig zu süßem Sirup. Aus den USA wurde von »flavour tripping«-Partys berichtet, auf denen sich Teilnehmer trafen, um den veränderten Geschmack, den Miraculin bei verschiedenen sauren Lebensmitteln auslöst, zu testen. Als die New York Times von den Events berichtete, löste sie zeitweilig einen Hype um die Wunderbeere aus.

Im Jahr 2021 hat die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) die Sicherheit der getrockneten Früchte von Synsepalum bewertet. Demnach ist die Aufnahme ernährungsphysiologisch nicht nachteilig und es gibt keinen Hinweis auf Genotoxizität. Der Verzehr von täglich 10 mg pro kg Körpergewicht gilt als sicher. Wissenschaftler arbeiten an synthetisch erzeugten Substanzen, mit ähnlicher Wirkung, um unangenehme Geschmäcker, etwa den Bittergeschmack von manchen Arzneimitteln, zu überdecken. Zudem wurde Miraculin bereits als alternativer Süßstoff für Diabetiker eingesetzt, da es nicht den unangenehmen Nachgeschmack manch anderer Süßstoffe aufweist. Auch gab es Versuche, ein verändertes Geschmacksempfinden, das unter einer Chemotherapie auftreten kann, mithilfe von Miraculin zu verbessern.

Denn auch einzelne Medikamente sind in der Lage, Geschmacksempfindungen zu verändern. Dann ist von Dysgeusie die Rede. So kann das Chemotherapeutikum 5-Fluorouracil die saure, aber auch bittere Wahrnehmung versüßen, da es die Mundschleimhaut und Geschmacksrezeptoren schädigen kann. Das Vitamin-A-Derivat Isoretinoin wiederum, das bei schwerer Akne zum Einsatz kommt, kann die Geschmackswahrnehmung für Saures verändern. Nach der Therapie kommt der normale Geschmack in der Regel wieder zurück.

Auch wenn Saures uns nicht unbedingt zum Lachen bringt, scheint es dennoch unsere Gefühle zu beeinflussen. So deutet eine Studie der University of Sussex in Brighton darauf hin, dass Saures zu genießen, mutiger machen könnte. Probanden, die zuvor Zitronensäure zu trinken bekamen, agierten anschließend bei einem Glücksspiel risikofreudiger. Die Teilnehmer wurden durch den sauren Reiz dabei unabhängig von ihren persönlichen Eigenschaften mutiger. Wie dieser Effekt zustande kommen könnte, ist unklar. Die Forschenden hoffen jedoch, dass die Ergebnisse zur Verhaltensänderung bei der Bekämpfung von Angststörungen und Depressionen behilflich sein könnten. Und zumindest Freunde von TikTok-Challenges dürften ihren Spaß mit Saurem haben. Unter dem Hashtag #sauregurken teilen sie ihre Erlebnisse beim Biss ins eingelegte Gemüse. Zumindest den Beteiligten treibt der Nonsens dann doch die Tränen in die Augen.

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