| Caroline Wendt |
| 08.12.2025 08:00 Uhr |
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Gerade die Vorweihnachtszeit ist reich an Ritualen – schöne, lästige und solche, die wir nie hinterfragt haben. / © Getty Images/ Natalia Ruedisueli
Im Unterschied zu einer Gewohnheit haben Rituale eine tiefere Bedeutung: Sie tragen eine symbolische Dimension. Ob Weihnachtsbaum, rituelle japanische Teezeremonie oder der mexikanischen Día de los Muertos: Die Bedeutung von Ritualen wird nicht zuletzt dadurch ersichtlich, dass es sie in allen Kulturen und Gesellschaften gibt.
Doch woran liegt es, dass uns solche Wiederholungen guttun? Die Welt um uns verändert sich kontinuierlich – und das ist auch gut so. Rituale hingegen wirken wie Ankerpunkte und vermitteln ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit. Sie stehen für das Bewährte, Vertraute und Bekannte, geben eine feste Struktur und eine Art rhythmische Gliederung. Diese Beständigkeit kann helfen, Stress und Ängste besser bewältigen zu können. So kann beispielsweise eine regelmäßige Yoga-Runde dabei helfen, den Geist zu beruhigen. Des Weiteren erfordern Rituale Achtsamkeit und eine bewusste Konzentration auf das Hier und Jetzt.
Rituale geben Halt – sie können sich aber auch verändern. Auch wenn sie teilweise traditionell, religiös oder kulturell geprägt sind, spricht nichts dagegen, wenn Rituale sich neuen Bedürfnissen anpassen – etwa wenn an Weihnachten nicht die Gans, sondern ein vegetarisches Festessen auf dem Tisch steht. So bleibt Raum für Individualität und Veränderung.
Kleine und große Rituale wie das gemeinsame Abendessen oder ein jährliches Klassentreffen stärken zudem das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Gefühl sozialer Unterstützung. Ein Ritual zeigt, dass man etwas gemeinsam macht und auch beim nächsten Mal verlässlich wieder da sein wird. Außerdem wird die emotionale Stabilität gefördert. Die Beständigkeit eines Rituals kann helfen im Alltag besser zurechtzukommen. Gut erkennen lässt sich das bei Kindern, die oft besonders stark auf wiederholende Tagesabläufe reagieren. Rituale wie das Vorlesen vor dem Schlafengehen bewirken, dass sie sich sicher und geborgen fühlen, ein festes Abschiedsritual in der Kita kann dabei helfen, Mama oder Papa morgens einfacher gehen lassen zu können, und der Morgenkreis erleichtert dann wiederum das Ankommen in der Gruppe.
Darüber hinaus können Rituale auch dabei helfen, negative Gefühle zu verarbeiten. So bieten Trauerrituale, wie Beerdigungen oder Gedenkfeiern, einen spirituellen Rahmen, um sich mit Gefühlen von Trauer und Verlust auseinandersetzen zu können.
Wenn Stress und negative Gefühle überhandnehmen, kann ein Ritual helfen. Die Psychologin Nanni Glück empfiehlt, sich den Wecker auf fünf bis acht zufällige Zeiten am Tag zu stellen. Beim Wecker klingeln gilt es dann kurz innezuhalten und zu überlegen:
Auch zur Stressbewältigung können kleine Rituale helfen. Kleine Zeitinseln wie zum Beispiel beim Meditieren, Sport treiben oder Freunde treffen schaffen Raum für Ruhe und Gelassenheit. Und wer das Gefühl hat, im stressigen Alltag zu wenig Zeit für sich selbst zu haben, kann ein etwas paradox klingendes Ritual probieren: eine Stunde früher aufstehen. Diese Zeit, wenn alle anderen noch schlummern, kann man hervorragend nutzen, um etwas zu erledigen, was wichtig für einen selbst ist. Egal ob Yoga, Zeitung lesen oder eine ausgiebige Dusche: Dadurch, dass man schon vor dem Start in den Job etwas Positives erlebt hat, beginnt der Tag mit einem guten Gefühl.
Doch Rituale sind nicht nur privat wichtig – auch im Berufsleben spielen sie eine große Rolle. Sie können den Alltag strukturieren und das Team stärken. Und damit sind nicht standardisierte Abläufe gemeint, sondern positive, gemeinsame Erlebnisse. Im Kleinen sind das beispielsweise die gemeinsamen Kaffeepausen, die helfen können, das letzte Kundengespräch zu reflektieren. Aber auch wiederkehrende Events, die das gesamte Apothekenteam einbeziehen, sind wichtig – sei es ein monatliches Teamfrühstück, ein gemeinsames Feierabendritual oder die Weihnachtsfeier. Solche Rituale schaffen nicht nur Verlässlichkeit, sondern fördern auch den Zusammenhalt und die Motivation im Arbeitsalltag.
Regelmäßige Teamsitzungen helfen, Arbeitsabläufe zu verbessern und die Qualität zu sichern. Sie sind jedoch mehr als reine Organisation: Sie bringen das Team näher zusammen. Wenn alle gemeinsam planen und eigene Ideen einbringen, entsteht ein Gefühl von Verbundenheit und Verantwortung für die eigene Apotheke. Zudem kann das Zusammensein dafür genutzt werden, Bilanz zu ziehen: Was ist besonders gut gelaufen, wo wollen wir noch stärker werden?
Auch gemeinsame Feiern sind wertvolle Rituale. Sie schaffen Raum für Begegnung jenseits von Stress und Alltag und zeigen: Jeder im Team ist wichtig. Solche Rituale stärken das Zugehörigkeitsgefühl und fördern ein besseres Verständnis untereinander – vielleicht wirkt der Kollege aus der Filiale nach einem gemeinsamen Abend gar nicht mehr so distanziert?
Doch nicht nur große Rituale zählen. Auch kleine Routinen können den Apothekenalltag erleichtern. Solche Ankerpunkte geben Struktur, reduzieren Stress und schaffen ein Gefühl von Kontrolle.
Nicht zuletzt profitieren auch die Kunden von festen Ritualen in der Apotheke– und das nicht nur, weil PTA und Apotheker sich wohler fühlen: eine freundliche Begrüßung, feste Abläufe bei der Beratung, ein kurzer Abschiedsgruß. Solche Routinen schaffen Vertrauen und vermitteln Professionalität.
Und nach getaner Arbeit tut ein Ritual auch ganz gut. So kann beispielsweise das Notieren der erledigten Aufgaben helfen, den Tag bewusst abzuschließen und entspannter in den Abend zu starten. Dabei sollten nicht nur die unbedingt notwendigen To-dos aufgeschrieben werden, sondern auch die kleinen Dinge, die wie nebenbei geschehen – etwa ein ausführliches Kundengespräch mit einem pflegenden Angehörigen. Solche Momente sind wertvoll und sollten Beachtung finden. Und um am Wochenende den Kopf frei zu haben, kann das Aufschreiben von anstehenden Aufgaben ein sinnvolles Ritual sein.
Die fast obligatorische Weihnachtsfeier, die für viele als ein zusätzlicher Stressor in einer ohnehin schon vollgestopften Zeit ist, hat ihre Daseinsberechtigung. Denn neben Geschenken, Glühwein und Gänsebraten geht es an Weihnachten doch darum Dankbarkeit und Gemeinschaft zu empfinden. Diese Emotionen sollten bei einem guten (Apotheken-)Team nicht auf den privaten Bereich beschränkt bleiben.