Warum schämen wir uns? |
Starkes Gefühl: Wer sich schämt, will sich abschotten und anderen nicht in die Augen schauen. / Foto: Adobe Stock/Marco
Scham zählt zu den unangenehmsten und schmerzhaftesten Emotionen. Sie wird besonders gerne verschwiegen und tabuisiert. Dabei ist Scham nicht nur ein Gefühl, sondern eng mit körperlichen Reaktionen verknüpft. Wer sich schämt, errötet, beginnt zu schwitzen und möchte am liebsten im Erdboden versinken, was auch über die Körperhaltung transportiert wird. Menschen, die sich schämen, können die Blicke anderer nicht ertragen, sie nicht erwidern und senken automatisch den Blick.
Experten raten deshalb: Landet man in einer schambehafteten Situation, sollte man versuchen, den Blick zu heben. Damit wird Distanz zur Situation geschaffen und das Gefühl der Scham kann in das schwächere Gefühl der Peinlichkeit übergehen.
Ein Mensch, der nicht beschämbar ist, existiert bis auf wenige krankheitsbedingte Ausnahmen nicht. Allerdings sind Schamgefühle individuell verschieden ausgeprägt und abhängig von persönlichen, biografischen und religiösen Prägungen, dem Alter und Lebensumfeld sowie der Geschlechts- und Kulturzugehörigkeit. So kann sich ergeben, dass eine Situation, für die sich die eine Person zutiefst schämt, von einer anderen lediglich als kleine Peinlichkeit wahrgenommen wird.
Dieser Zusammenhang zeigt sich auch beim Fremdschämen. Psychologisch betrachtet ist Fremdscham eine Simulation des Gehirns, die verdeutlicht, wie wir uns in der Lage eines beobachteten Menschen fühlen würden. Verstößt er gegen Werte, Vorstellungen oder Prägungen, mit denen wir uns selbst identifizieren, empfinden wir ausgeprägte Fremdscham, die sich ähnlich anfühlt wie selbst erlebte Scham. Die beobachtete Person kann sich in dieser Situation ebenfalls schämen, muss es aber nicht. Fremdscham tritt auch auf, wenn sich der Beobachtete nicht im Geringsten peinlich berührt fühlt.
Schamgefühle treten schon bei kleinen Kindern auf. Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass der Zeitpunkt, ab dem Kinder sich selbst als eigenständige Person erleben und erste soziale Regeln verstanden haben, dafür ausschlaggebend ist. In der Regel ist das etwa ab dem 18. Lebensmonat der Fall. Es gibt jedoch auch Vermutungen, dass das Fremdeln im ersten Lebensjahr bereits eine spezielle Form von Scham darstellt.
Aus Untersuchungen mit Erwachsenen ist bekannt, dass Schamgefühle immer dann entstehen, wenn die persönlichen Grundbedürfnisse nach Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit oder Integrität verletzt werden. Oft sind das Situationen, in denen gegen gesellschaftliche Normen verstoßen wird, man sich »daneben« benommen hat oder etwas getan hat, das sich nicht »gehört« und dafür ausgelacht, gemieden oder ausgegrenzt wird.
Menschen schämen sich aber nicht erst, wenn sie eine negative Reaktion des Umfelds bekommen, sondern bereits dann, wenn sie diese befürchten. Auch das Überschreiten von körperlichen oder psychischen Grenzen bei uns selbst beziehungsweise durch uns bei einer anderen Person erzeugt Schamgefühle. Massiv ausgeprägt sind diese bei Gewalterfahrungen.
Menschen sind zudem in der Lage, sich vor sich selbst zu schämen. Dieses als Gewissensscham bezeichnete Gefühl tritt auf, wenn gegen innere Überzeugungen oder Werte gehandelt wird oder die eigenen Perfektionsansprüche nicht erfüllt werden. Dazu zählen nicht nur Handlungen wie Fehler oder Niederlagen, sondern etwa auch, wenn Körperfunktionen nicht mehr ausreichend kontrolliert werden können.