Was Bewegung dem Gehirn bringt |
Wie kann man sich die Prozesse auf zellulärer Ebene im Gehirn vorstellen? »Ausgelöst durch die Muskelkraft kommt es im Hirn zu einer Freisetzung von neurotrophen Proteinen wie dem BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) oder Wachstumsfaktoren wie dem IGF 1 (Insulin-like Growth Factor). Weil das Gehirn ein plastisches Gewebe ist, sorgen Trainingsreize für eine verbesserte Synaptogenese; Nervenzellen werden neu gebildet, miteinander vernetzt, die Neuroplastizität nimmt zu. Die funktionale Konnektivität innerhalb des Gehirns wird verbessert«, erklärt Schott.
Bewegung bringt automatisch Herausforderungen für das Gehirn mit sich. Ausführungen von komplexen Bewegungen, wie die Schrittfolgen beim Tanzen oder auch bei Aktivitäten in der Natur, erfordern erhöhte Konzentration. »Das verstärkt die neuronale Aktivität und wirkt sich positiv auf die oben genannten Wachstumsfaktoren aus. Dadurch lernen die Systeme, und so verbessern sich vor allem bei den Nervenbahnen die Reizschwelle und die Reizfrequenz.«
Stete Trainingsreize lassen jene Region im Hirn wachsen, die zuständig für das Lernen und das Gedächtnis ist, den Hippocampus. »Das ist äußerst günstig – zumal bekannt ist, dass das Gehirnvolumen zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr rund 10 Prozent abnimmt und dabei vor allem der Hippocampus und der Frontallappen schrumpfen. Im Alter kognitive Herausforderungen zu suchen, damit das Gehirn in Form bleibt, wirkt also dem Abbau entgegen«, formuliert es die Expertin.
Ursprünglich im Gehirn entdeckt, weiß man heute, dass BDNF bei Kontraktion vom Muskel selbst produziert wird. Damit zählt der Wachstumsfaktor zu der großen Gruppe der Myokine – also von bislang mehreren Hundert entdeckten Botenstoffen, die die Skelettmuskulatur selbst sezerniert und damit als eigenständiges endokrines Organ mit anderen Organen und Geweben, etwa dem Gehirn, der Bauchspeicheldrüse und dem Fettgewebe, kommuniziert. Zu ihnen zählen neben dem BDNF eine ganze Reihe von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6) sowie IL-4, IL-7 und IL-15, aber auch Hormone wie Irisin, Musclin und Myostatin.
Einige Myokine wie eben BDNF, aber auch Lactat oder Irisin können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dort für die bekannten positiven Effekte auf die Stimmung, das Stresslevel und die Kognition sorgen. Irisin fördert wiederum die BDNF-Freisetzung im ZNS selbst und Lactat die Gefäßneubildung.
Der weiße Muskelfasertyp – die sogenannte Fast-Twitch-Faser – ermöglicht kräftige, kurze Kontraktionen und hilft so beim Hüpfen, Springen oder Sturz abfangen. Er ermüdet schnell. Die roten Muskelfasern sind dagegen unsere Alltags-Dauer-Muskeln, die den ganzen Tag für uns aktiv sind. Sie sorgen für Haltung und helfen beim Ergreifen eines Gegenstandes. Weil sie sehr gut mit Sauerstoff versorgt sind, sind sie rot. Sie sprechen auf Reize langsamer an, haben eine längere Kontraktionszeit, ermüden aber auch sehr viel langsamer.
Dies gilt es, mit einem angepassten Training zu berücksichtigen. Der Unterschied im Training besteht darin, dass man die weißen Muskelfasern nur mit hohen Lasten aktivieren kann und die roten mit niedrigen Aktivitäten. »Wenn wir walken, trainieren wir die roten Slow-Twitch-Muskelfasern. Damit betreiben wir Kardiotraining. Die weißen Muskelfasern bleiben jedoch unerreicht und bauen sich deshalb ab. Sie sind dann für schnelle Bewegungen im Alter nicht mehr rekrutierbar. Krafttraining fordert die weißen Muskeln«, weiß Sportwissenschaftlerin Schott.
Eine Erkenntnis bezüglich BDNF ist relativ neuer Natur: Der Wachstumsfaktor nimmt direkt Einfluss auf die Muskelfaserzusammensetzung. Dadurch, dass er bei körperlicher Aktivität direkt im Muskel gebildet wird, trägt er maßgeblich zum Wachstum weißer, kräftiger Muskelfasertypen bei – zulasten der roten Fasern, deren Zahl und Querschnitt sich reduziert (siehe Kasten). Es kommt quasi zu einem Faserswitch, die Muskeln werden dauerhaft umprogrammiert. »Das bedeutet: Regelmäßiges Muskeltraining reduziert das Sturzrisiko von älteren Erwachsenen massiv«, führt Schott aus.