Was ist das Adrenogenitale Syndrom? |
Da die schwere Form bereits in den ersten Lebenswochen des Neugeborenen tödlich verlaufen kann, muss sie schnell erkannt und behandelt werden. Seit 2005 erfolgt der Nachweis dieser Erkrankung beim Neugeborenen-Screening: Liegt die Vorstufe des Cortisols, das 17-OH-Progesteron (17OHP), in zu hoher Konzentration im Blut vor, schließen die Ärzte auf die schwere Form des AGS. Das Neugeborene erhält nach einer positiven Folgediagnostik nun lebenslang eine Ersatztherapie mit synthetischem Cortisol.
Reisch erläutert: »Die Hormonersatztherapie ist anspruchsvoll, sowohl Über- als auch Untertherapie haben erhebliche Auswirkungen auf Wachstum und Entwicklung bei Kindern sowie Fruchtbarkeit, Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-Gesundheit bei Erwachsenen. Besonders herausfordernd ist, dass die Therapie in Situationen eines erhöhten Bedarfs wie Krankheit und Fieber schnell und richtig angepasst werden muss, andernfalls drohen lebensgefährliche Nebennierenkrisen.« Entscheidend sei die konsequente Therapie in spezialisierten Zentren. Mit ihrer Hilfe ließe sich für die Betroffenen ein hohes Alter bei guter Lebensqualität erreichen. Ergeben Untersuchungen zudem, dass zu wenig Aldosteron (ebenfalls aufgrund des 21-Hydroxylase-Mangels) vorliegt, muss auch dieser Mangel durch ein synthetisches Analogon behoben werden.
Das mildere late-onset AGS fällt meist erst in der Pubertät und dann bei Mädchen auf – aufgrund von Symptomen wie unregelmäßiger oder ausbleibender Monatsblutung, verstärkter Akne, Damenbart, Behaarung an Brust und Bauch (Hirsutismus). Bei dieser Form besteht eine Restenzymaktiviät von circa 20 bis 50 Prozent. Die Bildung von Aldosteron ist nicht und die Cortisolproduktion nicht oder nur leicht beeinträchtigt. Jedoch bildet die Nebenniere etwas mehr Androgene wie Testosteron. Die Mädchen haben zu viel männliche Hormone im Körper.
Die Symptome des late-onset AGS sind recht unspezifisch. Ähnliche Beschwerden werden häufig auch von einem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) ausgelöst. »Betroffene sollten die Ursache unbedingt ärztlich abklären lassen«, mahnt Reisch. Denn: Zwei Drittel der Betroffenen eines late-onset AGS sind Genträger einer schweren Mutation und können damit die Anlage für ein klassisches AGS weitergeben. Das Risiko für ein klassisches AGS erhöht sich für ihre Nachkommen von 1:10.000 bis 15.000 Fälle auf 1:400 Erkrankungen. Daher seien eine genetische Beratung und auch die genetische Untersuchung des Partners gerade bei Kinderwunsch entscheidend.
Für die Diagnostik des nicht klassischen AGS ist ein ausführliches Hormonprofil wichtig. Bei konkretem Verdacht folgt ein Hormonstimulationstest. Er dient auch dazu, einen eventuell doch vorhandenen Mangel an Cortisol auszuschließen. Eine unregelmäßige Regelblutung und eine ebenfalls auf das nicht klassische AGS zurückzuführende Unfruchtbarkeit lassen sich meist gut mit Glucocorticoiden behandeln. Bei Hirsutismus können orale Kontrazeptiva oder hormonhaltige Hautcremes helfen. Letztere werden im Gesicht eingesetzt, um dort das Haarwachstum zu hemmen. Ideal ist laut Reisch eine Kombination mit kosmetischen Behandlungen. Die Akne sollte ein Hautarzt behandeln.