Weibliches Geschlecht als Risikofaktor |
X-Chromosomen sind ein wichtiger Ansatz bei der Erforschung von Autoimmunprozessen. / © Getty Images/anusorn nakdee
Schätzungen zufolge sind 4,5 Prozent der Weltbevölkerung von einer Autoimmunkrankheit betroffen. 78 Prozent von ihnen sind Frauen. Dass dieses Ungleichgewicht kein Zufall sein kann, fiel bereits den Erstbeschreibern verschiedener Autoimmunerkrankungen vor mehr als einem Jahrhundert auf. Eine Chance, den Grund für die Häufung zu finden, hatten sie damals nicht. Erst als Wissenschaftler begannen, Autoimmunkrankheiten als Gruppe und nicht als eigenständige Syndrome zu betrachten, wurde klar, dass es entscheidende biologische Gemeinsamkeiten gibt.
Lupus erythematodes, das Sjögren-Syndrom, Hashimoto-Thyreoiditis oder die systemische Sklerose zählen zu den Autoimmunerkrankungen, die überwiegend Frauen betreffen. Alle brechen besonders häufig in einer der drei großen weiblichen hormonellen Veränderungsphasen – Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre – aus. Schon lange stehen deshalb Sexualhormone unter Verdacht, zu den entscheidenden Einflussfaktoren der ungleichen Geschlechterverteilung zu zählen. Bekannt ist etwa, dass Estrogen B-Zellen des Immunsystems aktiviert, Antikörper oder im Fall einer Autoimmunkrankheit Autoantikörper zu produzieren. Zur Erinnerung: Antikörper heften sich an bestimmte Moleküle (Antigene) körperfremder Strukturen wie Bakterien oder Viren, die dadurch von anderen Zellen erkannt und vernichtet werden. Autoantikörper binden fälschlicherweise an Strukturen auf den eigenen Körperzellen, die anschließend ausgeschaltet werden.
In der Schwangerschaft nimmt Progesteron eine Schlüsselrolle ein. Gleichzeitig hat es großen Einfluss auf das Immunsystem, da viele wichtige Immunzellen mit Bindungsstellen für Progesteron ausgestattet sind. Dockt das Hormon hier an, werden zum Beispiel verstärkt Antikörper inklusive Autoantikörper produziert (TH2-Immunreaktion) oder die Produktion gedrosselt (TH1-Immunreaktion). Immunologen halten es für wahrscheinlich, dass dies erklärt, warum Frauen, die an Multipler Sklerose oder rheumatoider Arthritis erkrankt sind, während einer Schwangerschaft oft einen Rückgang ihrer Symptome bemerken. Nach der Geburt, wenn der Progesteron-Spiegel sinkt, kommt es bei der Multiplen Sklerose hingegen häufig zu einem Krankheitsschub.