Wenn das Vorstellungsvermögen fehlt |
Erinnerung mit Hilfen: Menschen mit Afantasie können sich nicht bildlich in wichtige Lebenssituationen zurückversetzen. / Foto: Adobe Stock/Fxquadro
Wie das Gesicht eines vertrauten Menschen aussieht, aber auch, wie sich die im Laden entdeckte Pflanze auf dem heimischen Fensterbrett machen würde oder wie das frisch zubereitete Lieblingsessen lockt, stellen sich viele gerne vor. Etwa 3 bis 4 Prozent der Menschen jedoch seien dazu nicht in der Lage, berichtet der Psychologe Merlin Monzel im Gespräch mit PTA-Forum. Er forscht am Institut für Psychologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn zu diesem Phänomen, das in der Wissenschaft mit dem Begriff Afantasie bezeichnet wird.
Erstmals beschrieb 2010 der britische Neurologe Adam Zeman ausführlich einen Patienten, der – vermutlich durch einen Schlaganfall – sein bildliches Vorstellungsvermögen verloren hatte. Daraufhin meldeten sich etliche Betroffene bei Zeman und teilten ihm mit, dass auch sie nichts visualisieren könnten. Sie waren bis dahin davon ausgegangen, dass das bei allen Menschen so war. Heute widmet sich ein ganzer Forschungszweig der Afantasie, die definiert ist als fehlendes oder stark reduziertes, willentliches bildliches Vorstellungsvermögen. »Willentlich deshalb, weil viele Betroffene durchaus in Bildern träumen oder diese spontan erleben«, betont Monzel. »Aber sie können diese Eindrücke nicht bewusst hervorrufen.« Darüber hinaus hätten Afantasisten häufig auch Probleme damit, sich Gerüche, Geräusche oder Geschmäcker vorzustellen. »Sie wissen etwa, dass eine Zitrone sauer ist, können den Geschmack aber nicht abrufen.«
Menschen, die andere Personen nicht anhand von deren Gesichtern erkennen können, sind in der Regel nicht von Afantasie betroffen, sondern von Prosopagnosie (Prosop = Gesicht auf griechisch, Agnosie = nicht Erkennen), berichtet Psychologe Merlin Monzel. »Wir haben in unserer Forschungsarbeit die Gesichtserkennungsdefizite von Afantasisten mit denen von Prosopagnosisten verglichen und man muss anmerken, dass die Einschränkungen bei Prosopagnosie deutlich stärker sind – bis hin zum Nichterkennen der eigenen Eltern.« Bei Afantasisten gehe es eher um leichte Schwierigkeiten, die aber noch ganz gut kompensiert werden könnten.