Wirbelsäulen-Operation oft nicht notwendig |
Die steigende Zahl der Rückenschmerzpatienten, der Rückenoperationen und die genannten Studienergebnisse seien Gründe dafür gewesen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im vergangenen Herbst das Zweitmeinungsverfahren vor schmerzbedingten Wirbelsäulen-Operationen eingeführt hat. Nach Intervention der Deutschen Schmerzliga sind dabei nun nicht nur operativ und operativ nahestehende Fachrichtungen für die Abgabe einer Zweitmeinung qualifiziert, sondern es können auch Schmerzmediziner als qualifizierte Zweitmeinungsgeber mit einbezogen werden. Diese konservative Therapieschiene wird etwa durch Fachärzte für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung »Spezielle Schmerztherapie« vertreten.
Überall kritisiert jedoch, dass in der Praxis die Zweitmeinung meist von einem Vertreter der operativen Schiene abgegeben werde, da der Part der Schmerzmedizin nicht zwingend einbezogen werden muss. »Häufig geht es bei diesen Verfahren nicht darum, zu überprüfen, ob die OP wirklich sinnvoll ist, sondern ob der Befund operiert werden kann.« Es könne aber nicht sein, dass Operateure und Krankenhäuser sich auf dem Rücken schmerzkranker Menschen »eine goldene Nase verdienen und Betroffene dann mit ihren Rückenschmerzen und den Folgen ihrer Operationen alleine gelassen werden«, so Überall.
Als alternatives Zweitmeinungsverfahren nennt Überall die interdisziplinäre Schmerzkonferenz. Hier stünden die individuellen Bedürfnisse des Rückenschmerzpatienten und die für ihn infrage kommenden Behandlungen im Vordergrund. An der Konferenz nehmen alle relevanten Fachgruppen, bestehend mindestens aus einem konservativen Schmerztherapeuten sowie aus je ein auf Schmerzen spezialisierter Physio- und Psychotherapeut teil. Sie evaluieren gemeinsam mit den Betroffenen die Möglichkeiten nicht operativer multimodaler Therapieverfahren.
Küster hat als Schmerzmediziner seit mehr als 15 Jahren bereits viele solcher interdisziplinären Schmerzkonferenzen geleitet. Die meisten Rückenschmerzpatienten erhalten als Ergebnis eine Empfehlung gegen die Operation. Nur die wenigsten werden nach dieser Zweitmeinung tatsächlich an der Wirbelsäule operiert. Vielen kann sogar in der Regelversorgung geholfen werden, denn im Rahmen des interdisziplinären Zweitmeinungsverfahrens werden auch bislang nicht angedachte konservative Therapieverfahren evaluiert, die ohne nennenswerten Zusatzaufwand umgesetzt werden können
Diejenigen Patienten, bei denen die üblichen konservativen Verfahren der Regelversorgung ausgeschöpft sind und für die dennoch keine Operation als sinnvoll erachtet wird, können im Anschluss an das Zweitmeinungsverfahren an einem intensiven individuellen multimodalen Behandlungsprogramm teilnehmen. Es wird von Arzt, Physio- und Psychotherapeut aus der Schmerzkonferenz durchgeführt und dauert drei Wochen oder berufsbegleitend drei Monate.
Das Zweitmeinungsverfahren der interdisziplinären Schmerzkonferenz ist allerdings keine Regelleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern Teil eines sogenannten besonderen Versorgungsprogramms. Die Techniker Krankenkasse und einige Ersatzkassen übernehmen jedoch dafür sowie für das anschließende intensive Behandlungsprogramm die Kosten, falls indiziert.