Die richtige Dosis mit dem Kinderformularium finden |
| Barbara Döring |
| 05.10.2023 10:45 Uhr |
Bei kleinen Patienten ist Off-Label-Use oft die einzige Wahl. / Foto: Adobe Stock/Tobilander
Für viele Medikamente gibt es in der Fachliteratur zwar gute Informationen zur Eignung für den Off-Label-Use bei Kindern. Sie sind jedoch oft nur mühsam zu finden. Mit Medizinern und Apothekern der Kinderklinik der Uniklinik Erlangen hat deren emeritierter Direktor Professor Dr. Wolfgang Rascher eine wissenschaftlich fundierte Informationsdatenbank erstellt, die alle wichtigen Daten zu Off- und On-Label-Anwendungen bei Frühgeborenen, Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre kostenlos zur Verfügung stellt und Ärzten ermöglicht, nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu behandeln. Für das «Kinderformularium« wurde umfangreiches Wissen zu Dosisempfehlungen oder Nebenwirkungen, die speziell für Kinder kritisch sein können, zusammengeführt. Es ist auch mit den Seiten des DAC/NRF verlinkt.
Wer die Datenbank über die Website www.kinderformularium.de öffnet, findet ein Suchfeld, in das der Name eines Wirkstoffs oder eines Präparats eingegeben wird. Inzwischen sind darüber 600 Arzneimittel beziehungsweise Wirkstoffe abrufbar. Klickt man auf den Reiter »Neuigkeit«, öffnet sich der Bereich »Dringlichkeit«, in dem die Monographien der relevanten Wirkstoffe für die aktuelle Herbst-Winter-Saison hinterlegt sind: Antibiotika, Ibuprofen, Paracetamol, Salbutamol oder Xylometazolin können hierüber abgefragt werden.
Am Beispiel des Schmerzmittels Fentanyl, dem Opioid, das am häufigsten bei Neugeborenen eingesetzt wird, jedoch erst ab zwei Jahren eine Zulassung zur parenteralen Anwendung hat, demonstrierte Rascher die Datenbank. Dosierungen, die sonst nur aufwändig über viele Literaturdatenbanken abrufbar seien, sind hier auf einen Blick zu sehen: Unter Dosisempfehlungen öffnet sich eine Liste, bei der die Dosierungen gestaffelt nach Alter für die Initial- und Erhaltungsdosis pro Kilogramm Körpergewichte aufgeführt ist. Entsprechend gibt es Informationen zu allen Medikamenten, die bei Kindern Off-Label angewendet werden können oder müssen, weil es keine Alternative gibt, erläutere Rascher.
Zusätzlich ist vermerkt, ob ein Wirkstoff etwa bei eingeschränkter Nierenfunktion niedriger dosiert werden muss. Zu den Wirkstoffen gibt es Präparate-Listen sowie unter anderem Informationen zu Pharmakodynamik und Pharmakokinetik, unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Kontraindikationen oder Wechselwirkungen. Zudem sind Referenzen und Quellen hinterlegt, auf deren Basis die Dosierungen mit bestmöglicher Evidenz beruhen, so der Kinder- und Jugendmediziner.
Entstanden ist das Projekt vor zehn Jahren, als Rascher Direktor der Kinder- und Jugendklinik in Erlangen war. Damals wurde dort eine elektronische Krankenakte als Dosisunterstützungssystem eingeführt. »Die Kollegen und Kolleginnen in der Klinik waren begeistert, dass sie all die Informationen direkt nachschlagen konnten«, erinnerte sich Rascher. Apothekerinnen wie Professor Dr. Antje Neubert aus Erlangen waren entscheidend daran beteiligt, das Projekt auf die Reihe zu bringen, aufzubauen und am Leben zu erhalten, so der Referent.
Als das Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit den Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie in Deutschland startete, bewarb sich das Team um Rascher mit dem Projekt und erhielt bis 2022 eine Förderung, mit der eine Teilfinanzierung möglich wurde. Der andere Teil kam aus Forschungsmitteln der Klinik. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) machte die Vorgabe, die Dosisempfehlungen durch systematische Literaturstudien zu belegen. So kam es zur Zusammenarbeit mit niederländischen Experten, die eine ähnliche Datenbank in bereits größerem Umfang entwickelt hatten.
»Inzwischen sind wir ein Konsortium, bei dem Deutschland, die Niederlande, Norwegen und Österreich zusammenarbeiten«, sagte Rascher. »Wir einigen uns auf eine Dosierung, die evidenzbasiert ist und für ganz Europa verwendet werden kann, wobei länderspezifische Unterschiede berücksichtigt werden.« Die Evaluation der Datenbank erfolgt im Rahmen des Projekts Kidsafe, das durch den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesauschuss gefördert wird und die Arzneimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen sicherer machen will. Darüber werden zum Beispiel unerwünschte Nebenwirkungen und Medikationsfehler in Kliniken systematisch erfasst.
In diesem Rahmen zeigt eine Cluster-randomisierte Studie mit 12 Kliniken, dass die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen aufgrund von Arzneimittel bedingten Nebenwirkungen gesenkt werden kann, wenn Arztpraxen trainiert werden, das Kinderformularium zu nutzen: Während es unter Kontrollbedingungen 4,14 Prozent Einweisungen gab, lagen diese nach einem Training der Ärzte zur Nutzung der Datenbank bei 3,07 Prozent. Das Ergebnis sei statistisch nicht signifikant, weil unter anderem wegen der Corona-Pandemie nicht ausreichend Arztpraxen teilnehmen konnten. Das Projekt wird deshalb nicht weiter vom deutschen Gesundheitssystem finanziert. Es zeige jedoch, dass weniger Kinder in die Klinik müssen, wenn Apotheker die Ärzteschaft über richtige Arzneimitteltherapie informieren, sagte Rascher.