Essen nach der inneren Uhr? |
Menschen folgen bei ihren Mahlzeiten ganz unterschiedlichen Zeitplänen. Während in einigen Kulturen das Essen am Abend Tradition hat, essen andere überwiegend am Tag. Oft spielt das Wetter hierbei eine entscheidende Rolle. In heißen, feuchten Klimazonen verlagert sich das Leben und Essen automatisch in die kühleren Abend- und Nachtstunden.
Aber auch das moderne Leben folgt immer weniger dem biologischen Rhythmus des Menschen. Beobachtbar ist ein Trend zu unregelmäßigem Essverhalten und eine zunehmende Aufweichung der klassischen Mahlzeitenstruktur in Form von Frühstück, Mittag- und Abendessen. Viele Menschen haben nurmehr Zeit für Snacks zwischendurch, was zur Folge hat, dass eher viele kleine Mahlzeiten über den Tag und mitunter auch in die Nacht hinein verteilt gegessen werden. Immer häufiger lassen Menschen auch Mahlzeiten aus. Neben dem Frühstück betrifft das vor allem das Mittagessen. Eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass etwa 60 Prozent der Millennials (geboren zwischen 1980 und 1995) regelmäßig das Mittagessen ausfallen lassen, um weiterzuarbeiten.
Welche Auswirkungen die Tageszeit bei der Nahrungsaufnahme sowie die Häufigkeit der Mahlzeiten auf die menschliche Gesundheit haben, ist das Fachgebiet der Chrononutrition. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass vor allem das Frühstück eine wichtige Rolle einnimmt. So steht der Start in den Tag ohne Frühstück in Zusammenhang mit Gewichtszunahme, Übergewicht, psychischen Problemen, einem Anstieg der freien Fettsäuren, des Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegels sowie des Blutzuckerspiegels und der Insulinunempfindlichkeit. In prospektiven Langzeituntersuchungen führte das Auslassen des Frühstücks zu einem Anstieg des Diabetes-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos. Im Gegenzug konnten Studien zeigen, dass Menschen, die frühstücken, seltener am metabolischen Syndrom erkranken.
Vermutet wird, dass circadiane Unterschiede im menschlichen Stoffwechsel für diese Effekte verantwortlich sein könnten. So konnten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) feststellen, dass der Körper am Morgen konsumierte Kohlenhydrate besser verstoffwechseln kann und der Glucosespiegel nach einer Mahlzeit am Nachmittag deutlich höher ansteigt, als wenn die gleiche Mahlzeit am Morgen gegessen wurde. Bei Studienteilnehmern mit Prädiabetes war zudem der Blutzuckerwert am nächsten Tag höher, wenn sie abends viele Kohlenhydrate gegessen hatten.
Zu einem ähnlichen Schluss kamen Wissenschaftler der Universität Lübeck. Sie verglichen die Auswirkungen verschiedener Frühstücks- und Abendessen-Kombinationen auf den Blutzucker- und Insulinspiegel von 16 normalgewichtigen Männern. Im ersten Teil der Untersuchung erhielten die Studienteilnehmer ein niedrigkalorisches Frühstück und ein hochkalorisches Abendessen. Im zweiten Teil wurde die Kombination gedreht, sodass das Frühstück hochkalorisch und das Abendessen niedrigkalorisch ausfiel. In beiden Fällen stiegen Blut- und Insulinspiegel nach dem Frühstück weniger stark an als nach dem Abendessen.
Zusätzlich erfassten die Forscher die postprandiale Thermogenese nach dem Essen, die als Maßeinheit für den Energieverbrauch herangezogen werden kann. Unabhängig davon, ob das Frühstück kalorienarm oder -reich war, fiel die Thermogenese am Morgen höher aus als nach dem Abendessen. Das Ergebnis war auch unabhängig von Art und Menge der Nahrung. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass morgens grundsätzlich mehr Energie verbraucht wird als am Abend und der Körper dabei vermutlich einem circadianen Rhythmus folgt, der unabhängig von der zugeführten Energie verläuft.
Es wird angenommen, dass die circadiane Uhr die Mahlzeiteneinnahme als eigenen Zeitgeber nutzt. Möglich ist auch, dass der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme mithilfe von sogenannten Clock-Genen und Clock-kontrollierten Genen Einfluss auf die Energiebilanz hat. In der Praxis lässt sich beobachten, dass Menschen, die entgegen dem circadianen Rhythmus hauptsächlich in den Abendstunden essen, mit größerer Wahrscheinlichkeit an Gewicht zunehmen und es ihnen schwerer fällt, Gewicht zu verlieren. Eine höhere Kalorienaufnahme am Abend ist zudem mit einem Anstieg des Triglyzeridspiegels und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und das metabolische Syndrom verbunden. Menschen, die im Nachtschichtsystem arbeiten, haben häufiger eine gestörte Insulinempfindlichkeit als Menschen, die ausschließlich tagsüber aktiv sind. Das Diabetesrisiko erhöht sich pro 5 Jahre Schichtarbeit mit Nachdiensten um 5 Prozent.