Gehirn lebenslang lernfähig |
Isabel Weinert |
17.07.2020 15:30 Uhr |
Ein weiteres Beispiel für den Einzug neuer Technologien in die Reha: Physiotherapeuten bekommen immer öfter Unterstützung von Robotern. Sie dienen der Mobilisierung des Patienten, dem Gangtraining und dem Training der Arm- und Handfunktion. Gerade diese Funktionen entscheiden oft darüber, inwieweit ein Mensch nach Schlaganfall wieder in den Alltag zurückfindet.
Dackel Wastl als Rehahelfer am Klinikum Harlaching: Er hilft Schlaganfallpatienten dabei, sich ihr früheres Leben zurückzuerobern. / Foto: Klaus Krischock / München Klinik
Gangroboter ermöglichen so viele Schrittwiederholungen, wie sie ein Physiotherapeut nie bieten könnte. Der Patient steht selbstständig in einem Roboter mit einem Gleichgewichtsentlastungssystem; pro Therapiesitzung erlaubt das System tausend und mehr Schritte. Sensoren geben dabei Rückmeldung, was der Patient kann. Darüber wiederum lässt sich die Hilfestellung durch den Roboter regulieren, und zwar exakt so, wie es für den Patienten passt, um weiter Fortschritte zu machen. Das Therapieziel, das der Patient vorab mit dem Therapeuten bespricht, wird auf diese Weise schneller erreicht, zeigen Studien. Kombiniert werden die Roboter teilweise mit einer virtuellen, interaktiven Welt, ein motivierender Aspekt für den Patienten.
Einen ganz und gar nicht virtuellen, aber ebenfalls neueren Ansatz verfolgt die Therapie mit Tieren. Seit 2003 wird sie zum Beispiel am Klinikum Harlaching des Städtischen Klinikums München erforscht. Heimtiere wie Vögel, Katzen. Hunde oder Kaninchen werden hier eingesetzt, um die Neuorganisation des Gehirns auch von Schlaganfall-Patienten zu unterstützen. Das gelingt, weil die tiergestützte Therapie Motivation und Aufmerksamkeit der Patienten fördert. Tiere bewirken Emotionen beim Patienten. Das fördert gleichzeitig die Motivation. Ärzte des Klinikums wiesen mittels MRT eine deutliche Steigerung der Hirnaktivität in den Bereichen für Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Motivation und positive Gefühle nach, wenn Tiere im Spiel waren.
Nicht für alle neuen Therapien existieren ausreichend wissenschaftliche Belege. Zum Teil nur deshalb, weil noch nicht genug aussagekräftige Studien vorliegen.
Das ist ein Grund dafür, dass sich neue Möglichkeiten der Rehabilitation (noch) nicht jedem Schlaganfall-Patienten bieten. Denn die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Kosten für die Therapie nur, wenn sie sie herkömmlichen Therapien gegenüber als überlegen ansehen. Dazu bedarf es auch der positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA. Dabei könnte eine Erstattung moderner Therapieverfahren wahrscheinlich vielen Menschen den Weg in ein selbstbestimmteres Leben ebnen. Sie könnte auch die Motivation der Betroffenen erheblich stärken, immer und immer wieder zu üben, um gesetzte Ziele zu erreichen.
Denn anders, als es lange gängige Lehrmeinung war, ist ein Schlaganfall-Patient mitnichten nach einem Jahr austherapiert. Das Gehirn ist auch danach in der Lage, Trainingsreize so aufzunehmen, dass sich die Situation des Patienten weiter verbessert. Das gilt nicht nur für jüngere Menschen, sondern auch für die »Alten«. Die bestmögliche Therapie lohnt also in jedem einzelnen Fall.
Wissenschaftler untersuchen, ob sich die motorische Rehabilitation durch Arzneistoffe fördern lässt. Dabei kommen vor allem Substanzen zum Einsatz, die über Rezeptoren wirken, welche an den neuroplastischen Vorgängen während der motorischen Funktionserholung beteiligt sind. Bislang konnten tierexperimentelle Erkenntnisse der Arzneistoffwirkung jedoch nur an gesunden Probanden beziehungsweise nur in sehr kleinen Studien auch an Patienten mit Schlaganfall geprüft werden.
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gehören zu den untersuchten Arzneistoffen. Im vergangenen Jahr zeigten neue Daten zu ihrem Einfluss bei Patienten ohne Depression keine Effekte auf die Ergebnisse der Rehabilitation. Demnach ist bei Fehlen der häufig nach Schlaganfall auftretenden Depression eine Verordnung von SSRI nicht sinnvoll. Liegt eine Depression vor, sollte diese allerdings weiterhin damit behandelt werden.