Hohes Risiko für Jugendliche durch Cannabiskonsum |
Barbara Döring |
27.06.2023 08:30 Uhr |
Dass es immer häufiger durch den Konsum von Cannabis zu Psychosen kommt, könnte daran liegen, dass die Züchtungen sich im Laufe der Jahre deutlich verändert haben. Während der Gehalt an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), der Substanz, die für die Rauschzustände verantwortlich ist, in den 1990er-Jahren bei 3 bis 4 Prozent lag, enthalten heutige Züchtungen 20 bis 30 Prozent, zum Teil sogar noch mehr. Die neuen Züchtungen enthalten dann verhältnismäßig weniger Cannabidiol (CBD), das als Gegenspieler des berauschenden Bestandteils THC gilt. Schönfeldt-Lecuona warnt Jugendliche deshalb: »Vorsicht! Das, was damals geraucht wurde, war etwas völlig anderes als das, was heute konsumiert wird.«
Cannabis entfaltet seine Wirkung beim Menschen, weil es für die enthaltenen Cannabinoide im gesamten Körper passende Rezeptoren gibt, vor allem im Gehirn. An sie docken körpereigene Botenstoffe, die Endocannabinoide. Sie sind Bestandteil des Endocannabinoidsystems, einem Teil des Nervensystems, das bei der Steuerung wichtiger Funktionen wie Appetit, Schlaf oder Schmerz eine Rolle spielt. Besonders viele der Rezeptoren finden sich im vorderen Gehirnbereich, dem Frontallappen, der als Sitz der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens gilt. Würden Cannabinoide von außen zugeführt, würden diese empfindlichen Rezeptoren wie mit Bomben stimuliert und könnten das gesamte System stören, beschreibt es Schönfeld-Lecuona.
Warum ist der Cannabiskonsum gerade bei Jugendlichen kritisch zu sehen? Bei Kindern und Jugendlichen finden im Gehirn Umstrukturierungen statt und das Gehirn ist in dieser Phase des Lebens eminent plastisch. Zwischen den einzelnen Regionen werden neue Verbindungen geknüpft, bereits bestehende werden gestärkt oder auch wieder gekappt. Junge Menschen lernen in dieser Zeit, komplexe Aufgaben zu lösen und ihre Gefühle zu kontrollieren. Dieser Reifungsprozess ist oft bis zum 25. oder sogar 30. Lebensjahr noch nicht komplett abgeschlossen. »Jugendliche sind deswegen besonders labil und anfällig für Funktionsstörungen des Gehirns«, weiß Schönfeldt-Lecuona. Cannabis greift in diese Prozesse ein und kann die Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie und Depressionen erhöhen sowie kognitive Fähigkeiten beeinträchtigen. »Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass Cannabis die Neurobiologie des Gehirns verändert«, sagt der Psychiater. Einen wesentlichen Hinweis gab eine 2021 im Fachjournal »JAMA Psychiatry« veröffentlichte Studie, die in acht europäischen Zentren durchgeführt wurde.
Für die Untersuchung wurden bei fast 500 Jugendlichen im Alter von 14 Jahren, die noch nie Kontakt zu Cannabis hatten, eine Kernspintomografie des Gehirns sowie neuropsychologische Tests durchgeführt. Fünf Jahre später wurden bei den 19-Jährigen die Aufnahmen und Tests wiederholt. Bei den Jugendlichen, die inzwischen Cannabis konsumiert hatten, war im vorderen Bereich des Gehirns – dem frontalen Cortex – das Nervengewebe dünner geworden. Je mehr geraucht wurde, umso größer fiel die Ausdünnung aus. Gleichzeitig zeigten sich Veränderungen der Neuropsychologie: Jugendliche mit Cannabiskonsum waren eher impulsiv und unaufmerksam, ähnlich wie man es von ADHS-Patienten kennt.