Ist Fleischkonsum noch vertretbar? |
Wie viele Emissionen jeweils anfallen, hängt stark vom jeweiligen Haltungssystem, der Fütterung und der Zucht ab. Das Problem ist, dass die meisten Tiere heutzutage in Ställen gehalten werden – mit ressourcenintensiver Fütterung, die das Vieh zum Nahrungskonkurrenten des Menschen macht. Demgegenüber bietet die Haltung auf dem Grünland Vorteile für die weltweite Ernährungssicherung und die Natur. Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen sind dazu in der Lage, Gras in hochwertige Lebensmittel umzuwandeln, sofern dafür Flächen genutzt werden, auf denen Ackerbau nicht möglich oder aus Klimaschutzgründen nicht sinnvoll ist, wie in Moorgebieten.
Außerdem braucht Gras die Beweidung der Tiere, um zu wachsen. Durch Photosynthese nehmen Gräser CO2 auf und lagern es langfristig im Boden ein. Es entsteht Humus, der die Bodenfruchtbarkeit verbessert und ebenfalls Kohlenstoff bindet. Werden Rindfleisch und Milch auf der Basis nachhaltiger Grünlandbewirtschaftung erzeugt, helfen sie beim Naturschutz. Kritisch sind aber neu angelegte Weideflächen, für die Regenwald abgeholzt wurde sowie die großen Ackerflächen, auf denen Futter für die Tiere angebaut wird wie Soja, Mais oder Getreide.
Wissenschaftler warnen seit Jahren, dass die aus der Tierhaltung resultierenden Treibhausgasemissionen in erheblichem Maße zum Klimawandel beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Denkfabrik Chatham House in ihrer 2021 erschienenen Studie »Food System Impacts on Biodiversity Loss«. Sie betonen, dass eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten dringend notwendig sei.
Wie das gehen könnte, hat ein internationales Team, die EAT-Lancet-Kommission, schon im Jahr 2019 vorgeschlagen. Die Wissenschaftler haben einen Speiseplan entwickelt, der gesund ist, den Planeten schützt und in der Lage ist, die wachsende Weltbevölkerung satt zu bekommen. Die internationalen Experten wollen damit eine wissenschaftliche Basis für Veränderungen schaffen. Im Vordergrund steht eine Vielzahl an pflanzlichen Lebensmitteln. Das heißt reichlich Gemüse, Obst und vorwiegend Vollkornprodukte, ergänzt um geringe Mengen tierischer Lebensmittel.
Für jedes Lebensmittel haben die Autoren eine empfehlenswerte Menge berechnet. Beispielsweise kommt man mit einer täglichen Menge von 43 Gramm Fleisch auf etwa zwei Fleischmahlzeiten mit je 150 Gramm pro Woche. Deutsche Durchschnittsesser dürften nur noch ein Viertel der momentan üblichen Fleischmenge essen. Weltweit betrachtet müsste der Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen ungefähr verdoppelt, der Verzehr von rotem Fleisch und Zucker dagegen halbiert werden.
Die Forderungen des Berichts erinnern stark an das, was verschiedene Organisationen seit Jahrzehnten empfehlen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt aktuell 300 bis 600 Gramm Fleisch in der Woche, die Vollwert-Ernährung kann, wenn gewünscht, bis zu 300 Gramm Fleisch pro Woche beinhalten. Die Vollwert-Ernährung, die neben gesundheitlichen Aspekten auch stärker ökologische und sozioökonomische Belange berücksichtigt, kommt damit den Berechnungen der EAT-Lancet-Kommission noch näher.
Verschiedene Forschungsgruppen und Start-ups experimentieren mit der Vermehrung von natürlichen Zellen in einem künstlichen Bioreaktor, um daraus In-vitro-Fleisch als Lebensmittel herzustellen. Dabei sollen unter anderem die negativen Umweltwirkungen, die mit konventioneller Fleischproduktion einhergehen, vermieden und die weltweit wachsende Nachfrage nach Fleisch gestillt werden. In Singapur hat das erste Fleisch aus einem Bioreaktor Ende 2020 eine Zulassung erhalten. In der EU hat bisher noch keine Firma einen Antrag gestellt.
Um In-vitro-Fleisch zu produzieren, wird einem lebenden Spendertier Muskelgewebe entnommen. Aus diesem Gewebe werden Stammzellen extrahiert und mit einem Nährmedium in einem Bioreaktor vermehrt. Für das Nährmedium wird fetales Kälberserum genutzt – wobei das Muttertier und ihr ungeborenes Kind bei der Entnahme sterben. Mittlerweile forschen viele Unternehmen an möglichen tierfreien Nährmedien wie Pilzen oder Algen. Ob die Herstellung von Laborfleisch umweltfreundlicher ist als die herkömmliche Fleischproduktion lässt sich derzeit noch schwer sagen, weil noch viele Details unklar sind. Grundsätzlich ist aber der Energieaufwand sehr hoch bei der Kultivierung von Fleisch im Labor. Weltweit wird aber mit großem finanziellen Aufwand geforscht, wie das In-vitro-Fleisch zukünftig günstiger und ressourcenschonender hergestellt werden könnte – ein ziemlicher Aufwand, um den Geschmack von Fleisch nachzuahmen.