Leber und Medikamente |
Manchmal jedoch ist es die Leber selbst, die aus einer Substanz erst einen wirksamen Metaboliten herstellt, also den eigentlichen Arzneistoff. In der Fachsprache hat sich die englische Bezeichnung Prodrug etabliert. Dieses Prinzip machen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter ganz gezielt zunutze. Sie stellen Prodrugs her, um damit ungünstige Eigenschaften des Arzneistoffs zu umgehen. So kann beispielsweise ein Prodrug verwendet werden, weil der eigentliche Arzneistoff nur unzureichend resorbiert wird.
Andere Gründe können ein schlechter Geschmack, eine geringe Löslichkeit oder ein hoher First-Pass-Effekt sein. Häufig wird dazu chemisch beispielsweise eine OH- Gruppe am Arzneistoffmolekül eingeführt und mit einer Säure verknüpft. Die Leber spaltet den Esther dann wieder und legt den Arzneistoff frei. Arzneistoffe, die durch Bioaktivierung erst in die eigentliche Wirkform überführt werden, sind zum Beispiel Codein, Prednison, Enalapril, Acetylsalicylsäure oder Desogestrel.
Auf Ebene der Metabolisierung können Arzneistoffen miteinander wechselwirken. Wenn nämlich beide Substanzen über denselben Stoffwechselweg abgebaut werden, treten sie in Konkurrenz und überfordern möglicherweise die Kapazität des betreffenden Enzyms. Kann dann nicht so viel Arzneistoff wie üblich abgebaut werden, steigt der Blutspiegel und die Wirkdauer verlängert sich.
Manche Arzneistoffe treten nicht nur in Konkurrenz, sondern sind in der Lage, die Wirkung von CYP-Isoenzymen anzukurbeln beziehungsweise zu bremsen. Auch dies kann zu erheblichen Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen führen, die nun entweder schneller oder nur noch eingeschränkt abgebaut werden. Gegebenenfalls hat die Hemmung oder Induktion auch einen Einfluss auf den First-Pass-Effekt oder die Bioaktivierung eines Prodrugs.
Das vielleicht bekannteste Beispiel für einen Induktor ist Johanniskrautextrakt, der die Aktivität von CYP3A4 stark erhöht. Arzneistoffe, die über CYP3A4 verstoffwechselt werden, verschwinden in Gegenwart von Johanniskrautextrakt so schnell aus dem Blutkreislauf, dass ihre Wirkung stark reduziert ist beziehungsweise ganz verloren geht. CYP-Inhibitoren dagegen hemmen den Abbau von Substanzen und verlängern deren Halbwertszeit. Starke Inhibitoren beispielsweise von CYP3A4 sind Clarithromycin, Itraconazol und HIV-Proteasehemmer. Auch Nahrungsmittel können die Aktivität von CYP-Isoenzymen verändern: So hemmt Grapefruitsaft CYP3A4, Holzkohle-Grillfleisch induziert CYP1A2.
Um vorhersagen zu können, ob es bei mehreren gleichzeitig angewandten Medikamenten zu Wechselwirkungen bei der Biotransformation kommen kann, müssen die Abbauwege der Arzneistoffe bekannt sein. Von welchen Isoenzymen werden sie metabolisiert? Ist ein Induktor oder Inhibitor unter den Arzneistoffen? Die erforderlichen Informationen lassen sich schnell in pharmazeutischen Onlinedatenbanken oder in Lehrwerken der Pharmakologie finden.