| Barbara Döring |
| 08.12.2025 10:00 Uhr |
Typischerweise starte die Grippesaison zu Beginn des Jahres, erinnerte Dr. Ellen Heimberg, stellvertretende Sprecherin der DIVI-Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin. Dass die Grippesaison in diesem Jahr in England und Spanien früher begonnen hätte, sei zumindest teilweise der neuen H3N2-Variante zuzuschreiben. Die Oberärztin der Interdisziplinären Pädiatrischen Intensivstation am Universitäts-Klinikum Tübingen präsentierte Daten einer eigenen Umfrage im Januar und Februar 2025.
Alle Intensivstationen in Deutschland, die pädiatrische Patienten versorgen, wurden angeschrieben, um Auskunft über die Zahl der versorgten Influenza-Patienten und den Verlauf der Grippeinfektionen zu erhalten. Knapp 30 Prozent der Intensivstationen beteiligten sich und meldeten insgesamt 181 Influenza-Patienten, 98 Prozent davon hatten keine Grippeimpfung.
62 Prozent der Patienten mussten wegen Atemversagen beatmet werden. Zudem hätte es sehr viele schwer verlaufende neurologische Erkrankungen im Zusammenhang mit Influenza gegeben, knapp 20 Prozent kamen wegen Kreislaufversagen und Sepsis als Folge der Infektion in die Klinik. 14 der 181 Patienten hatten ein Multiorganversagen, bei dem zusätzlich zur Lunge auch Gehirn, Nieren oder Leber Schaden genommen hatten.
In diesem Zusammenhang betonten die Experten, dass es bei einer Grippeinfektion durch die immunologische Reaktion des Körpers auch im Gehirn zu Entzündungsprozessen kommen könne, die mitunter bis zum Hirnödem und epileptischen Anfällen führten. Das Virus sei nicht nur ein Atemwegsvirus, sondern auch eines, das dem Gehirn gefährlich werden könnte.
Auch schwere Verlaufsformen einer ME/CFS, die in Zusammenhang mit Long-Covid ins Gespräch kamen, können nach einer Influenza-Erkrankung auftreten. Das zeige, auch wenn es nur einen kleinen Teil der Patienten betrifft, dass die Influenza eigentlich eine Systemerkrankung sei.
Als sehr beängstigend empfindet Heimberg, dass 35 Prozent der gemeldeten Grippepatienten keine Vorerkrankungen aufwiesen. Knapp ein Drittel mussten länger als sieben Tage auf der pädiatrischen Intensivstation behandelt werden. 18 der gemeldeten Kinder sind verstorben, darunter acht ohne Vorerkrankung. Gerechnet auf die 181 aufgenommen Kinder, ergäbe sich eine Sterberate von 10 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass schwere Verläufe durch eine Impfung vermeidbar wären, seien das dramatische Zahlen, betonte die Kinderintensivmedizinerin.
Als Notfallmediziner wünsche man sich, solche schweren Verläufe zu verhindern, betonte Hoffmann. Neben der Weltgesundheitsorganisation WHO hätten auch einige europäische Länder bereits die Empfehlung ausgesprochen, alle Kinder ab sechs Monaten zu impfen. In Deutschland gibt es die Empfehlung bislang nur für chronisch Kranke ab sechs Monaten und für Über-60-Jährige sowie für im Gesundheitswesen Tätige. „Wir wissen, dass wir da besser werden müssen“, betonte der DIVI-Präsident. Deshalb fordert DIVI die Impfung für alle ab dem sechsten Lebensmonat.
Die klassischen, intramuskulär zu applizierenden Impfstoffe sind ab sechs Monaten zugelassen. Ein nasaler Impfstoff, der mit einem Nasenspray völlig schmerzfrei gegeben werden kann, ist für Kinder ab zwei Jahren verfügbar.
Nach der Pandemie sei eine gewisse Impfmüdigkeit eingetreten. Zudem sei vielen nicht bewusst, dass die Grippe so schwer krank machen kann, sagte Hoffmann. Im Hinblick auf die Befürchtung, dass die Grippewelle früher starten könnte und dass es zwei bis drei Wochen braucht, bis sich Antikörper gebildet haben, sei jetzt der optimale Zeitpunkt für eine Immunisierung.