Mehr als nur zappelig |
Heutzutage wird ADHS am ehesten als dimensionale Störung verstanden. Es gibt also kein »Schwarz« oder »Weiß«, sondern jede ADHS ist individuell. Abhängig von den Beeinträchtigungen im Alltag und der Ausprägung der Symptome wird es in leicht-, mittel- und schwergradig unterteilt. Eine exakte Diagnostik ist umfassend, aber wichtig. Denn ähnliche Symptome treten bei zahlreichen anderen Krankheiten auf. Darüber hinaus leiden bis zu 85 Prozent der ADHS-Patienten an weiteren psychischen Erkrankungen. ADHS kommt also selten allein. Auch körperliche Ursachen wie eine Schilddrüsenerkrankung oder Arzneimittelnebenwirkungen müssen ausgeschlossen werden. Bei Kleinkindern unter sechs Jahren ist es selbst für Experten schwierig bis unmöglich, ADHS von Normvarianten abzugrenzen. Impuls- oder Regulierungsstörungen im Baby- oder Kleinkindalter deuten jedoch auf ein erhöhtes Risiko hin.
Steht die Diagnose, entscheiden Arzt und Patient beziehungsweise Eltern gemeinsam über das weitere Vorgehen. Dabei fußt die Behandlung auf mehreren Säulen. Wichtig ist, alle Beteiligten zunächst ausführlich über die Störung aufzuklären. Je nach Schwere, Begleiterkrankungen und Leidensdruck können verschiedene psychosoziale, psychotherapeutische und medikamentöse Interventionen helfen. Allein mit der Verordnung von Tabletten ist es also nicht getan. Eine wichtige Frage bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen ist außerdem: Welche wünscht der Patient, welche werden von der Familie mitgetragen?
Das Angebot der sogenannten Psychoedukation ist Grundlage aller Therapiemaßnahmen. Diese kann bei Bedarf beispielsweise durch Verhaltenstherapie, Elterntraining oder Elternberatung intensiviert oder um eine Pharmakotherapie ergänzt werden. Durch die Therapie sollen Betroffene ihre zentralnervösen Ressourcen besser nutzen können. Besonders Kinder unter sechs Jahren sowie leichte Schweregrade werden in erster Linie psychosozial und psychotherapeutisch behandelt.
Genügen diese Maßnahmen nicht, sollten Eltern und Patienten nicht vor einer indizierten Pharmakotherapie zurückschrecken. Denn unbehandelt leiden sie mitunter ein Leben lang: Schlimmstenfalls gipfelt die Symptomatik im Schulabbruch, sozialem Abstieg oder einer Sucht. Zwar lernen Erwachsene mit der Zeit, mit ihrer impulsiven, unkonzentrierten Art umzugehen. Dennoch verwächst sich ADHS nicht einfach. Bei 50 bis 85 Prozent der Betroffenen persistieren Symptome im Erwachsenenalter, jeder Dritte zeigt sogar das Vollbild der Störung. Längsschnittstudien zeigen außerdem, dass ADHS-Patienten neben einem niedrigeren Einkommen und Ausbildungsstand auch eine geringere Lebensqualität aufweisen. Sie übertreten häufiger Gesetze, sind öfter in Verkehrsunfällen verwickelt und anfälliger für Nicotin-, Alkohol- oder Drogensucht.
In der Therapie von Erwachsenen wird deshalb schon bei nur leichter Ausprägung eine medikamentöse Therapie – neben der Psychoedukation – als primäre Option empfohlen. Um Verhaltensänderungen zu erleichtern, spielt auch bei ihnen die Aufklärung und Akzeptanz von ADHS als Störung eine große Rolle. So verbessern sich im Idealfall auch koexistierende Beschwerden wie Depressivität, Angst oder Selbstwertprobleme langfristig.