Wie Gen- und Immuntherapien funktionieren |
Auch die relativ neue Genschere CRISPR/Cas9 kommt in diesen zwei unterschiedlichen Varianten zum Einsatz: Entweder werden Zellen außerhalb des Körpers mithilfe der molekularen Schere verändert oder erkrankte Körperzellen werden direkt im Organismus modifiziert (siehe Grafik). In jedem Fall ermöglicht diese Schere eine präzise anpassbare DNA-Editierung zur Korrektur von Mutationen. Die Erkenntnisse zur Nutzung der CRISP/Cas-Technologie waren so bahnbrechend, dass die Professorinnen Dr. Emmanuelle Charpentier und Dr. Jennifer Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis erhielten. Deshalb sind heute Wissenschaftler in der Lage, in den Bauplan des Lebens einzugreifen und so gezielt das Erbgut umzuschreiben.

© PZ/Stephan Spitzer
Ex-vivo-Therapie durch Genom-Editierung (links): Dabei werden Zellen von Patienten oder gesunden Spendern in einer kontrollierten Laborumgebung mit CRISPR bearbeitet. Die veränderten Zellen werden dann wieder in die Patienten eingebracht.
In-vivo-Therapie durch Genom-Editierung (rechts): Hier werden CRISPR-Genom-Editoren direkt in Patienten eingebracht, wobei bestimmte Organe oder Gewebe gezielt angesteuert werden. Der Transfer der CRISPR-Komponenten erfolgt entweder mit viralen Vektoren (meist Lentiviren und Adeno-assoziierte Viren), denen ihr natives Genom und ihre Replikationsfähigkeit fehlen (links), oder mit Lipid-Nanopartikeln (LNP, rechts). In die LNP sind entweder CRISPR/Cas-Ribonukleoproteine eingepackt, bei denen ein rekombinant hergestelltes Cas-Protein mit der spezifischen Leit-RNA (sgRNA) vorkomplexiert ist. Alternativ kann eine mRNA-codierte Cas-Nuklease zusammen mit der spezifischen Leit-RNA verpackt sein.
Grafik mod. nach DOI: 10.1016/j.cell.2024.01.042
So etwa Anfang des Jahres bei Baby Kyle im Kinderkrankenhaus Philadelphia: Er war weltweit der erste Säugling, der eine personalisierte Gentherapie erhalten hatte, die innerhalb weniger Monate für ihn entwickelt werden konnte. Kyle war im Sommer 2024 mit einer seltenen genetischen Stoffwechselerkrankung zur Welt gekommen: Die Leber des Jungen stellte das Enzym CPS1 (Carbamoylphosphat-Synthetase-1) nur fehlerhaft her. Weil deshalb bestimmte Proteine nicht abgebaut werden, erhöht sich der Ammoniakgehalt im Blut. Neurologische Schäden, Entwicklungsstörungen bis hin zum Tod sind die Folgen.
Einem interdisziplinären Team ist es im Kinderkrankenhaus in Philadelphia vor wenigen Monaten zum ersten Mal gelungen, eine Mutation im Genom eines Neugeborenen zu korrigieren, die zum Ausfall eines wichtigen Enzyms im Harnstoffzyklus führt. / © Shutterstock/comzeal images
Daher erhielt Kyle nach der Geburt in der Klinik eine proteinarme Ernährung. Medikamente senkten die Konzentration von Ammoniak im Blut. Dauerhaft geholfen hätte dem Kind lediglich eine Lebertransplantation, doch dafür war es noch zu jung. Diese Zeit nutzten seine Ärztinnen und Ärzte, mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 eine auf Kyle zugeschnittene Gentherapie zu entwickeln, mit der die defekten Gene in seinem Körper ausgetauscht werden sollten. Zunächst testeten die Forschenden den Ansatz in der Zellkultur, dann an Mäusen und Affen. Sieben Monate nach seiner Geburt bekam der Junge dann die erste Dosis der Gentherapie als Infusion. Schon nach der ersten Behandlung konnte er mehr Proteine zu sich nehmen und die Dosis seiner Medikamente reduzieren. Bis zum April 2025 hat er zwei weitere Infusionen erhalten und die Behandlung gut vertragen. Inzwischen konnten die Eltern ihren Sohn gar nach Hause nehmen.
Für die Behandlung setzten die Mediziner das sogenannte Base-Editing ein, bei dem an spezifischen Stellen im Erbgut eine Base verändert wird. Neu ist in diesem Fall auch, dass statt eines viralen Vektors Nanopartikel den Transport des Base-Editing-Komplex zur Leber übernommen haben. So war es möglich, das Kind wenige Wochen später erneut zu behandeln, ohne dass Antikörper gegen den Vektor ausgebildet worden waren.
Zu den gängigen Therapieoptionen zählen Gentherapien unter anderem wegen der erheblichen möglichen Nebenwirkungen derzeit nicht. Sie kommen vor allem bei schweren Seltenen Erkrankungen zum Einsatz, für die keine andere Therapieoption zur Verfügung steht. Dazu zählen zum Beispiel schwere Immunschwächen, Hämophilie B, Spinale Muskelatrophie oder die erbliche Netzhautdystrophie. Das sich das künftig ändern könnte, zeigen zwei aktuelle Beispiele aus diesem Jahr: