Zwei Orphan Drugs im Mai |
Sven Siebenand |
26.05.2023 10:30 Uhr |
Die seltene und lebensbedrohliche Bluterkrankung EBV+ PTLD kann nach einer Organtransplantation auftreten. Mit Tabelecleucel gibt es nun eine neue Behandlungsmöglichkeit. / Foto: Getty Images/sturti
Tabelecleucel (Ebvallo®, Pierre Fabre Pharma) kommt zur Behandlung von Erwachsenen und Kindern ab zwei Jahren zum Einsatz, die nach einer Organ- oder Knochenmarktransplantation einen Blutkrebs entwickeln, der als »Epstein-Barr-Viruspositive lymphoproliferative Erkrankung nach Transplantation« (EBV+ PTLD) bezeichnet wird. Das Mittel wird jedoch nur bei jenen Patienten angewendet, die zuvor mindestens eine Behandlung erhalten haben, wenn die Erkrankung erneut auftritt oder wenn die Vorbehandlung nicht gewirkt hat.
Die EBV+ PTLD ist eine potenziell tödliche Komplikation, die nach einer Transplantation auftreten kann. Es kommt dazu, weil die Patienten nach einer Transplantation Immunsuppressiva bekommen, um eine Abstoßung des Transplantats zu verhindern. Aufgrund des dadurch geschwächten Immunsystems sind die Betroffenen jedoch sehr anfällig für Infektionen, etwa mit dem Epstein-Barr-Virus. Bei Patienten mit EBV+ PTLD infiziert das Virus nach der Transplantation B-Zellen, was zu Veränderungen der Zellen und schließlich zu Krebs führt.
Tabelecleucel besteht aus T-Zellen eines Spenders. Diese werden zunächst mit B-Zellen desselben Spenders gemischt, die mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert wurden. Dadurch lernen die T-Zellen, infizierte B-Zellen als fremd zu erkennen. Die T-Zellen werden dann im Labor vermehrt und später dem Patienten verabreicht. Sie greifen im Körper des Patienten nun die infizierten B-Zellen an und töten sie ab, was dazu beiträgt, die EBV+ PTLD zu kontrollieren.
Tabelecleucel wird intravenös verabreicht. Die empfohlene Dosis enthält 2 × 106 lebensfähige T-Zellen je kg Körpergewicht des Patienten. Ebvallo wird über mehrere 35-Tage-Zyklen angewendet, in denen die Patienten an den Tagen 1, 8 und 15 das Medikament erhalten und bis Tag 35 beobachtet werden. Die Anzahl der Zyklen hängt davon ab, wie die Patienten auf die Behandlung ansprechen. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen Fieber, Diarrhö, Müdigkeit, Übelkeit, Anämie, Appetitmangel und niedriger Natriumspiegel.
Der zweite Neuling ist das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Loncastuximab-Tesirin (Zynlonta®, Sobi) für die Behandlung von zwei Formen des B-Zell-Lymphoms, einer Art von Blutkrebs. Es wird angewendet als Monotherapie bei Erwachsenen zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) und des hochmalignen B-Zell- Lymphoms (HGBL) nach zwei oder mehr systemischen Behandlungslinien.
Loncastuximab-Tesirin ist ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bestehend aus dem gegen CD19 gerichteten Antikörper Loncastuximab und Tesirin, einem potenten zytotoxischen Alkylans. Nach der Bindung von CD19 auf der Zelloberfläche von Lymphomzellen wird das Konjugat in die Zelle aufgenommen und das Zellgift enzymatisch freigesetzt. Tesirin verhindert die Replikation der DNA, indem es kovalent an diese bindet und Quervernetzungen zwischen den Strängen der Doppelhelix bildet. Dies führt zum Zellzyklus-Arrest und letztlich zur Apoptose der betroffenen Zellen.
Zynlonta wird alle drei Wochen über einen Zeitraum von 30 Minuten intravenös verabreicht. Die Behandlung kann so lange fortgesetzt werden, wie sie für den Patienten von Nutzen ist und keine unannehmbaren Nebenwirkungen auftreten. Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten. Die empfohlene Dosis ist 0,15 mg/kg alle 21 Tage für zwei Zyklen, gefolgt von 0,075 mg/kg alle 21 Tage für nachfolgende Zyklen. Wenn bestimmte Nebenwirkungen auftreten, kann der Arzt entscheiden, die Dosis zu reduzieren oder die Behandlung mit dem Medikament zu unterbrechen oder zu beenden. Vor Beginn der Behandlung sollten die Patienten Dexamethason erhalten, um mögliche Nebenwirkungen der Behandlung zu verringern. Empfohlen werden für drei Tage zweimal täglich 4 mg Dexamethason, beginnend am Tag vor der Gabe von Zynlonta.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Loncastuximab-Tesirin zählen erhöhte γ-Glutamyltransferase-Werte, Neutropenie, Fatigue, Anämie, Thrombozytopenie, Übelkeit, periphere Ödeme und Ausschlag.