Bewegungstherapie als Schlüssel |
Viele Betroffene fühlen sich schlapp nach der überstandenen Corona-Infektion und kommen im Alltag und im Job nicht mehr zurecht. / Foto: Adobe Stock/StockPhotoPro
Laut Bundesärztekammer leiden bis zu 15 Prozent der Corona-Infizierten später auch an Post-Covid-Symptomen. Typisch für Post Covid sind kognitive Einschränkungen. Heller-Scheunemann, die derzeit eine Therapie im Reha-Zentrum Seehof im brandenburgischen Teltow macht, bemerkte nach ihrer Erkrankung im Februar 2022 plötzlich Gedächtnislücken. »Ich konnte mich nicht mehr an Wege erinnern«, beschreibt die 50-Jährige. »Ich konnte nicht richtig schreiben, teilweise kamen Buchstaben in Spiegelschrift aufs Papier. Das war dann schon sehr beängstigend, auch weil natürlich der erste Gedanke kam: ›Kann ich meinen Job so machen?‹«
Auffällig: Immer wieder kommen Post-Covid-Patienten mit Abitur oder Hochschulabschluss in die Teltower Klinik – in anderen Patientengruppen ist das vergleichsweise weniger häufig der Fall. Auch für den ärztlichen Direktor des Reha-Zentrums ist das überraschend. Volker Köllner verbindet seine Arbeit als Arzt mit der Erforschung der Krankheit. Köllner sagt: »Dass es tatsächlich so einen Riesenunterschied beim Bildungsstand zwischen Patientengruppen gibt, wie in der Studie zu Post Covid, habe ich jetzt seit 30 Jahren Forschung noch nicht erlebt.«
Köllner berichtet, dass gerade Menschen mit geistig anspruchsvollen Jobs stark unter Konzentrationsstörungen leiden würden. »Eine Lehrerin kommt beispielsweise und erzählt uns, dass sie immer bestimmte Vokabeln vergisst und an der Tafel steht und ihr fällt das Wort nicht ein«, sagt der Arzt. In der kognitiven Testung seien dann tatsächlich entsprechende Einschränkungen nachgewiesen worden – oft in einem überraschend deutlichen Ausmaß.
Frauen sind übermäßig von Post Covid betroffen. »Das kann einerseits hormonelle und immunologische Gründe haben«, sagt Köllner. Der andere Punkt sei, dass Frauen häufiger in der Doppelbelastung seien mit Familie und sich eine Auszeit, die eigentlich nach der Infektion gut täte, weniger leicht nehmen könnten als die Männer.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) wird Long Covid definiert als gesundheitliche Beschwerden, die nach der akuten Corona-Erkrankung mehr als vier Wochen fortbestehen oder neu auftreten und keine andere, erkennbare Ursache haben. Das Post-Covid-Syndrom umfasst Beschwerden, die mehr als 12 Wochen nach Beginn der Infektion bestehen und nicht anderweitig erklärt werden können.
Nach einer vorläufigen Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind unter dem Begriff »Post-Covid-19-Zustand« gesundheitliche Probleme zu verstehen, die in längerem Abstand (in der Regel drei Monate) nach der SARS-CoV-2-Infektion über längere Zeit fortbestehen und anderweitig nicht erklärbar sind.
Ärzte und Therapeuten haben seit Ausbruch der Pandemie vor über zwei Jahren viel dazugelernt. Gerade etwa beim Thema Bewegung gab es lange Unsicherheit. Schadet es den Patienten am Ende? Für Köllner ist die Bewegungstherapie inzwischen ein Schlüsselelement bei der Behandlung. »Die riesige Mehrheit der Post-Covid-Patienten profitiert von einem wohldosierten Ausdauertraining und von Bewegungstherapie«, sagt der Arzt. Maßgebend für die richtige Behandlung von Post-Covid-Patienten ist die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Diese hat eine Empfehlung herausgegeben, in der sie dringend zu Bewegungstherapie raten.
Wenn sich Köllner etwas für die Post-Covid-Betroffenen wünschen dürfte, wären es einfach eingerichtete und zu erreichende Bewegungsangebote: »Damit würden wir Menschen erreichen, die bei ihrem Hausarzt sind und die sagen: ›Ich merke, das ist immer noch so anstrengend und ich mache mir Gedanken und ich kriege schlechter Luft‹.«
Die Deutsche Rentenversicherung Bund spricht sich ebenfalls für vielschichtige Behandlungen aus. Ihre Direktorin für Rehabilitation, Brigitte Gross, unterstreicht die Bedeutung: »Wenn zum Beispiel das Herz nach einer Corona-Erkrankung nur noch eine eingeschränkte Pumpfunktion hat, setzt die Rehabilitation mit einem dosierten Ausdauertraining an, um etwa das Treppensteigen wieder zu ermöglichen.« Unter dem Dach der Rentenversicherung wurden im Jahr 2021 rund 10.000 Rehabilitationen für die Folgen nach Corona durchgeführt. Durchschnittlich bleiben die Patientinnen und Patienten dabei 26 Tage in der Reha.
Aus der Wissenschaft und der Ärzteschaft wurde zuletzt immer wieder mehr Aufmerksamkeit für die späten Folgen einer Corona-Erkrankung verlangt. Viele halten das Thema für unterschätzt. Nach der Zunahme bei Corona-Infektionen im Herbst und Winter könnten auch die Post-Covid-Zahlen wieder steigen. Die Bundesärztekammer erwartet, dass sich mit der Dynamik der Pandemie auch die Erkenntnisse zu Post Covid verändern und teils auch immer wieder überholen.
Positiv sind nach Ansicht von Köllner die wachsenden Erfahrungen in der Bevölkerung mit Corona insgesamt. Die Menschen seien »deutlich immunkompetenter«, sagt Köllner. »Jetzt hatten wir zweieinhalb Jahre Zeit, uns mit dem Virus auseinanderzusetzen.« Gerade aus Sicht des Experten für Post Covid gilt aber: Man dürfe Corona nicht auf die leichte Schulter nehmen und müsse sehr wachsam bleiben. Köllner: »Ich halte es nicht für wahrscheinlich, aber es kann sein, dass es eben auch mal eine aggressivere, also im Sinne von gefährlichere, tödlichere Variante gibt.«
In Berlin schilderte am Freitag die Publizistin Margarete Stokowski, wie enttäuscht sie von Reaktionen von Ärzten und Krankenkassen teils ist. »Ich sehe, dass total viele Leute überhaupt keine Ahnung von Long Covid haben.« Sie selbst habe auf eigene Kosten viele Therapieansätze probiert, weil es an Hilfe gemangelt habe. »Die Versorgungslage ist weiterhin sehr schlecht«, so Stokowski. Neben ihr saß Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und pflichtete der bekannten Patientin im Grundsatz bei. Nun werde die Versorgungsforschung verbessert, versprach Lauterbach.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.