Epilepsien bei Kindern verstehen |
Epileptische Anfälle können unterschiedlich aussehen. Bei größeren Anfällen ist das gesamte Gehirn betroffen und es kommt zu einem Bewusstseinsverlust. / Foto: Adobe Stock/Satjawat
Der größte Fehler sei, von »der« Epilepsie zu sprechen, sagt Professor Dr. Ulrich Brandl im Gespräch mit PTA-Forum. Inzwischen zwar emeritiert, berät der Facharzt für Kinderheilkunde und Neuropädiatrie weiterhin zu Epilepsien, etwa mit seinem aktuellen Eltern-Ratgeber »Unser Kind hat Epilepsie« (TRIAS Verlag, 2023, ISBN: 9783432117584). Bei Epilepsien handele es sich um eine Gruppe verschiedener chronischer Erkrankungen, die aber nicht zwingend das ganze Leben andauern müssen. Ihr gemeinsamer Nenner sind die Krampfanfälle. Die Bandbreite der Erkrankung reicht dabei von einer nur vorübergehenden Störung bis zu einer schweren chronischen Erkrankung, von nicht behandlungsbedürftig bis zu schwer behandelbar.
Einen epileptischen Anfall kann jeder erleiden, etwa bei Vergiftungen oder bei Verletzungen des Gehirns. Teile des Gehirns sind dabei plötzlich und zeitlich begrenzt abnorm aktiv. Bis zu 500-mal pro Sekunde senden viele Neuronen gleichzeitig Signale, was unwillkürliche Bewegungen, Empfindungen und Verhaltensweisen hervorrufen und durch die Störung der normalen neuronalen Aktivität zu Bewusstlosigkeit führen kann.
Anfälle können sehr unterschiedlich ablaufen, von einer kleinen Muskelzuckung über kurze Wahrnehmungsstörungen bis zu einem großen Anfall mit Bewusstlosigkeit und Zuckungen aller Muskeln. Wie ein Anfall konkret aussieht, hängt vom betroffenen Gehirnteil ab.
Von der Erkrankung Epilepsie sprechen Mediziner erst, wenn wiederholt epileptische Anfälle ohne äußere auslösende Faktoren und zu unvorhersagbaren Zeiten entstehen. Geschätzt leben etwa 400.000 bis 800.000 Menschen mit einer Epilepsie in Deutschland. Die Hälfte der Erkrankungen zeigt sich erstmals bis zum zehnten Lebensjahr, zwei Drittel werden bis zum Alter von 20 Jahren diagnostiziert.
Konkret ist bei einer Epilepsie das Gleichgewicht zwischen Hemmung und Aktivierung von Neuronen in einem oder mehreren Gehirnteilen instabil oder im Sinne einer erhöhten Aktivierbarkeit verschoben. Das kann an einer veränderten Produktion bestimmter Transmitter, einem veränderten Verhalten der neuronalen Rezeptoren oder einem Mangel an hemmenden Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen liegen. Diese Abweichungen können entweder genetisch bedingt sein oder beispielsweise durch Unfallverletzungen, Hirntumoren oder Infektionen des Gehirns hervorgerufen werden. Epileptische Anfälle haben laut Brandl also keine einheitliche Ursache.
»Der Arzt muss für die richtige Diagnosestellung und geeignete Behandlung wissen, welche Anfallsformen bei dem Kind auftreten«, erläutert Brandl. Die Eltern sollten daher die wichtigsten Merkmale der verschiedenen Anfallsformen kennen, um sie dem Arzt beschreiben zu können. Hilfreich kann dabei auch ein Anfallskalender sein, wahlweise auch elektronisch per App, in den die Eltern Anfälle und Merkmale eintragen.
Ein wichtiges Unterscheidungskriterium etwa ist die Einteilung in generalisierte und fokale Anfälle: Bei einem generalisierten Anfall sind beide Hälften des Großhirns betroffen, das Bewusstsein des Kindes ist dadurch ausgeschaltet. Bei den fokalen oder Herdanfällen ist nur eine Hirnhälfte oder nur ein Teil davon betroffen. Das Bewusstsein bleibt ganz oder teilweise erhalten, weil die vom Anfall nicht unmittelbar betroffene Hirnhälfte normal weiterarbeitet.