Genesen und trotzdem chronisch krank |
Für Virologen sind langwierige Beschwerden nach einem Infekt nichts Neues. Sie kennen insbesondere das chronische Fatigue-Syndrom (Synonym: Myalgische Encephalomyelitis, abgekürzt ME/CFS) als Komplikation nach einer ganzen Reihe von Viruserkrankungen. Im Unterschied zur Fatigue, die als Symptom bei vielen Krankheiten auftreten kann, gilt ME/CFS als eigenständige, komplexe Erkrankung. Charakteristisch sind eine unverhältnismäßig starke, körperliche und geistige Erschöpfung, die sich auch durch Schlaf oder Erholung nicht bessert, und die postexertionelle Malaise. Schmerzen, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Stressempfindlichkeit und Wortfindungsstörungen zählen ebenfalls zu den typischen Symptomen. ME/CFS kann sich zum Beispiel nach Pfeifferschem Drüsenfieber (Infektiöser Mononukleose) entwickeln, das durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) verursacht wird. Auch Humane Herpesviren, Influenzaviren oder das Ebolavirus lösen bei manchen Patienten ähnliche lang anhaltende Beschwerden aus. Studien legen nahe, dass zumindest bei einem Teil der Long-Covid-Patienten das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung besteht.
Wer nach einer Coronainfektion an Langzeitfolgen leidet und wer nicht, lässt sich kaum vorhersagen. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig an Long Covid wie Männer. Die meisten Betroffenen sind im mittleren Lebensalter; bei Kindern und Jugendlichen liegt die Häufigkeit mit knapp 3 Prozent deutlich niedriger als bei Erwachsenen. Vorerkrankungen wie Asthma, Diabetes und Bluthochdruck erhöhen das Risiko. Auch psychische Belastungen vor der Infektion – wie Depressionen, Angstzustände, Stress oder Einsamkeit – haben sich in Studien als Risikofaktor erwiesen.
Einiges deutet darauf hin, dass nach einer Infektion mit der aggressiveren Delta-Variante mehr Menschen langfristig mit Gesundheitsproblemen kämpfen als nach einer Omikron-Infektion. Die Schwere und die Zahl der Akutsymptome beeinflusst die Häufigkeit von Long Covid ebenfalls. Das virushemmende Medikament Paxlovid® (Nirmatrelvir plus Ritonavir), das zur Prävention schwerer Verläufe bei Risikopatienten eingesetzt wird, verringerte in Studien auch die Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen. Nach einer intensivmedizinischen Behandlung mit oder ohne Beatmung kommt es zudem häufiger zu einem Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS), das sich unter anderem durch anhaltende Muskelschwäche, Lähmungserscheinungen und kognitive Beeinträchtigungen äußern kann. Laut den Leitlinienempfehlungen zählt PICS ebenfalls zum Long-Covid-Komplex. Aber auch nach einer asymptomatischen oder milden Erkrankung kann sich Long Covid entwickeln.
Zumindest einen gewissen Schutz vor Langzeitfolgen bietet die Impfung. Unklar ist allerdings, in welchem Ausmaß sie das Risiko für Long Covid senkt: Manche Studien sprechen von 50 Prozent oder mehr, in der bisher größten lag die Risikoreduktion durch die Coronaimpfung dagegen nur bei 15 Prozent. Möglicherweise ist der Effekt davon abhängig, wie lange die letzte Impfung zurückliegt. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass ein geringer Antikörper-Titer und eine hohe Viruslast in der Akutphase das Risiko für Long Covid erhöhen. In einer großen britischen Studie fanden sich Hinweise, dass ein oder zwei Impfungen nach einem positiven SARS-CoV-2-Test die Wahrscheinlichkeit von lang anhaltenden Symptomen verringern können.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.