Warum Frauen doppelt so häufig an Depressionen erkranken |
Die Anfälligkeit für Depressionen kann vererbt werden. Zwillings- und Familienstudien zeigen, dass etwa 30 bis 40 Prozent des Depressionsrisikos genetisch bedingt sind. Es gibt Hinweise auf unterschiedliche genetische Muster bei Frauen und Männern. Einige Genvarianten sind zum Beispiel mit Hormonrezeptoren (wie Estrogenrezeptoren) assoziiert und könnten das Zusammenspiel von hormonellen Schwankungen und Stimmungslage beeinflussen.
Auch epigenetische Einflüsse sind zu beachten. Die Epigenetik beschreibt Veränderungen in der Genaktivität, die nicht durch Veränderungen der DNA-Sequenz selbst entstehen, sondern durch chemische Modifikationen (wie DNA-Methylierung), ausgelöst durch Umwelteinflüsse. Bei Frauen könnte die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) anfälliger für epigenetische Veränderungen sein als bei Männern. Die Achse steuert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol.
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit oder chronischer Stress können epigenetische Spuren hinterlassen, die die Stressregulation langfristig verändern. Hiervon sind Frauen häufiger betroffen, nicht zuletzt deshalb, weil bei ihnen die Prävalenz von Missbrauchserfahrungen höher ist. Auch Schwankungen von Östrogen und Progesteron können epigenetische Muster beeinflussen. Das könnte erklären, warum depressive Episoden bei Frauen oft mit hormonellen Übergangsphasen wie der Pubertät, nach der Schwangerschaft oder der Menopause zusammenfallen.
Eine der sensibelsten Phasen im Leben einer Frau ist die Zeit nach der Geburt. Hier können Freude und Erschöpfung, hormonelle Umbrüche und neue Verantwortlichkeiten so stark belasten, dass daraus eine ernsthafte psychische Krise entsteht – die postpartale Depression.
Eine gewisse emotionale Überforderung nach der Geburt ist normal. Viele frische Mütter erleben im Wochenbett zunächst einen sogenannten »Baby Blues« – eine vorübergehende Phase von Stimmungsschwankungen, Weinerlichkeit und Erschöpfung, die in den ersten Tagen nach der Geburt auftritt und meist nach ein bis zwei Wochen wieder von selbst abklingt. Dieses postpartale Stimmungstief hat in der Regel noch keinen Krankheitswert.
Nicht jede Mutter kann sich über die Geburt ihres Kindes uneingeschränkt freuen. Etwa 10 bis 15 Prozent der jungen Mütter entwickeln eine postpartale Depression. / © Shutterstock/alinabuphoto
Hält die Niedergeschlagenheit jedoch länger an, verstärkt sich oder geht mit Antriebslosigkeit, starken Ängsten und anhaltenden Gefühlen der Überforderung einher, spricht man von einer postpartalen Depression. Sie betrifft etwa 10 bis 15 Prozent aller Mütter und ist damit eine der häufigsten Komplikationen im Wochenbett. Deutlich seltener, aber schwerwiegender ist die postpartale Psychose, die sich mit Wahnvorstellungen, Halluzinationen und einer akuten Gefährdung für Mutter und Kind äußert, und eine sofortige stationäre Behandlung erfordert.
Zu den Risikofaktoren für eine postpartale Depression zählen Schlafmangel, vorausgegangene depressive Episoden, belastende Partnerschaftssituationen und fehlende soziale Unterstützung. Die Erkrankung kann nicht nur die psychische Gesundheit der Mutter beeinträchtigen, sondern auch die Bindung zum Kind erschweren und die Partnerschaft belasten. Eine frühzeitige Diagnostik – etwa durch Screening-Fragebögen in der Nachsorge – ist wichtig.
Um den Frauen zu helfen, stehen psychotherapeutische Verfahren und der Aufbau sozialer Unterstützung im Vordergrund, in schweren Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung notwendig sein. Dabei muss stets abgewogen werden, welche Antidepressiva in der Stillzeit eingesetzt werden können, ohne das Kind zu gefährden. Während die bisher zur Verfügung stehenden Antidepressiva erst verzögert wirken, steht zukünftig mit einem neu in der EU zugelassenen und rascher wirkenden Arzneistoff eine spezielle Pharmakotherapie der postpartalen Depression zur Verfügung (siehe Kasten).
Ende September hat die EU-Kommission erstmals ein Arzneimittel gegen die postpartale Depression zugelassen. Zuranolon kann depressive Symptome nach der Geburt innerhalb von zwei Wochen deutlich lindern. Die vergleichsweise schnelle Wirkung ist ein Vorteil gegenüber herkömmlichen Antidepressiva, die oft erst nach Wochen wirken. Allerdings gibt es eine große Einschränkung: Das Mittel wird nicht für die Stillzeit empfohlen und sollte auch nicht während der Schwangerschaft angewendet werden. Es ist derzeit noch unklar, in welchem Maß der Wirkstoff in die Muttermilch übergeht.
Bei der postpartalen Depression ist der abrupte Abfall der Hormonspiegel nach der Entbindung ein wichtiger pathophysiologischer Faktor. Das Neurosteroid Allopregnanolon, ein Metabolit des Progesterons, sinkt nach der Geburt besonders rapide ab. Allopregnanolon wirkt normalerweise beruhigend und angstlösend, indem es am GABA A-Rezeptor als positiver allosterischer Modulator fungiert. Mit dem Abfall dieses Neurosteroids kommt es möglicherweise zu einem Ungleichgewicht in der neuronalen Signalübertragung und das könnte depressive Symptome begünstigen.
Hier greift der neue Arzneistoff ein. Zuranolon ist ein synthetisches Analogon von Allopregnanolon. Es ahmt die Wirkung des körpereigenen Neurosteroids nach und moduliert ebenfalls die GABA A-Rezeptoren. Der genaue Wirkmechanismus bei der Wochenbettdepression ist zwar noch nicht vollständig geklärt, doch die klinischen Daten zeigen, dass sich depressive Symptome deutlich und rasch bessern können.
Das Präparat, das künftig unter dem Handelsnamen Zurzuvae® in Hartkapseln zu 20, 25 und 30 mg verfügbar sein soll, wird oral eingenommen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schläfrigkeit, Schwindel und Sedierung.