Was gibt es Neues in der Schlafmedizin? |
Juliane Brüggen |
07.12.2023 09:00 Uhr |
Schlaftracker sind mittlerweile weit verbreitet. / Foto: Adobe Stock/Andrey Popov
Immer mehr Menschen tracken ihren Schlaf mit Apps oder Wearables. »In den letzten zwei Jahren hat die Anzahl der User von Schlaf-Apps um 182 Prozent zugenommen«, berichtete Professor Ingo Fietze, Kongresspräsident 2023 und Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité Berlin. »Dann laufen eine Menge an Schlafdaten in einer Wolke zusammen.« Nun hat sich der Tech-Konzern Samsung die angefallenen Schlafdaten der letzten zwei Jahre angeschaut, die von Nutzerinnen und Nutzern freiwillig zur Verfügung gestellt worden waren. Insgesamt wurden 716 Millionen Nächte weltweit anonym ausgewertet.
Ein Ergebnis: Die Schlafzeit hat sich im Vergleich zum Vorjahr um etwa vier Minuten reduziert und beläuft sich auf durchschnittlich 6 Stunden 59 Minuten. Verglichen wurde der Zeitraum von Juni 2022 bis Mai 2023 mit dem Zeitraum von Juni 2021 bis Mai 2022. Auch wenn es nur Minuten seien, zeichne sich ein bedenklicher Trend ab. »Wir sind jetzt also weltweit schon unter der Sieben-Stunden-Grenze, was die Schlafzeit betrifft«, so Fietze. Empfohlen sind ihm zufolge sieben Stunden Schlaf, ideal seien acht Stunden, das Minimum liege bei sechs Stunden.
Interessant sei außerdem, dass nicht späteres Zubettgehen oder früheres Aufstehen zur verkürzten Schlafzeit geführt habe, sondern die Wachzeit im Schlaf. »Eine Zunahme der Wachzeit im Schlaf heißt, der Schlaf wird schlechter«, so Fietze. Einschränkend bemerkte er, dass die Studiendaten sich nur auf Menschen beziehen, die die Samsung Health App nutzen, und daher mit Vorsicht zu interpretieren seien. »Es ist keine Untersuchung von Schlafgestörten«, so Fietze.
Als mögliche Trigger einer verkürzten Schlafzeit nannte Fietze Stress, die zunehmende Hitze, Lärm im Schlafzimmer – zum Beispiel durch einen schnarchenden Partner – und, vor allem in Großstädten, die Lichtverschmutzung. Auch Sorgen um die finanzielle Situation, Kriege und Erkrankungen wie Covid-19 spielten eine Rolle.
Bei den digitalen Angeboten zur Schlafaufzeichnung gebe es noch große Qualitätsunterschiede, so Professor Dr. Thomas Penzel, Vorsitzender der DGSM, Kongresspräsident 2023 und wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité Berlin. »Wir sind als Fachgesellschaft daran interessiert, Qualitätskriterien einzuführen und diese Daten, wenn möglich, mit einem medizinischen Know-How zusammenzuführen.«
»80 bis 90 Prozent aller psychischen Störungen gehen mit Schlafstörungen einher«, so Professorin Dr. Kneginja Richter, Sprecherin des Wissenschaftlichen Komitees der DGSM und Chefärztin der CuraMed-Tagesklinik Nürnberg. »Ganz häufig sind Schlafstörungen sogar Vorbote von einer psychiatrischen Diagnose.« So könne bei einer unbehandelten Insomnie innerhalb eines Jahres eine klinische Depression auftreten. Die Schlafstörung rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, dient somit der Prävention von Depressionen. Auch die Gedächtnisfunktion profitiere von einem gesunden Schlaf und vor allem Tiefschlaf. Denn der Körper nutzt diese Phase, um Giftstoffe in Nervenzellen abzubauen. »Das ist der wichtigste Anti-Age-Faktor«, so Richter.
Faktoren, die sich aktuell negativ auf Schlaf und psychische Gesundheit auswirken können, sind ihr zufolge die Klimaangst, vor allem bei jüngeren Menschen, eine chronische Erschöpfung (Burn-out) durch übermäßigen (Arbeits-)Stress und die Folgen der Corona-Pandemie. Menschen, die direkt oder indirekt von Covid-19 betroffen waren, hätten mitunter eine Schlafstörung entwickelt. »Wir haben jetzt, nach der Pandemie, das Phänomen der Post-Covid-Depression«, so Richter.
Die Ärztin kündigte an, dass die 2024 erscheinende überarbeitete Leitlinie zu Schlafstörungen positive Neuerungen mitbringe. Die Insomnie »als Vorbote vieler psychischer Erkrankungen« sei gut behandelbar, empfohlen werde eine Kurzzeit-Psychotherapie mit vier bis sechs Sitzungen, sowohl vor Ort als auch in digitaler Weise. »Wir haben außerdem neue Medikamente zur Behandlung der Insomnie«, sagte Richter. Mit Daridorexant ist sei kurzem ein Schlafmittel verfügbar, dass für die Dauertherapie zugelassen ist. Eine Vorreiterrolle nehme Deutschland im Hinblick auf die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) ein. Es gibt mittlerweile zwei Apps zur Behandlung der Insomnie, die auf Rezept verschrieben werden können (Somnio und HelloBetter Schlafen).
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.