Wie viel Kunststoff verträgt der Mensch? |
Endogene Disruptoren wie die für die Plastikproduktion verwendeten Weichmacher wie Bisphenole und Phthalate können laut des Hormonexperten der DGE während der Schwangerschaft das Schilddrüsenhormonsystem beeinträchtigen, was zu ernsthaften Entwicklungsproblemen führen kann. Zudem können diese Chemikalien das Risiko für Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis und sogar Schilddrüsentumoren erhöhen.
Mikroplastik in der Nahrungskette? Das kommt vor allem aus Kunststoffflaschen. / © Adobe Stock/ Vadim
»Diese Disruptoren verändern nachweislich die Serumkonzentrationen des Schilddrüsenhormons Thyroxin (T4), aber auch des T4/T3-Verhältnisses, und zwar in solchem Ausmaß, dass es für die reguläre Rückkopplung des Schilddrüsenhormonsystems relevant wird. Auf diese Weise erhöhte Serumkonzentrationen des Hypophysenhormons TSH verringern in der Folge die Schilddrüsenfunktion und Aktivität«, erläutert Köhrle. Im ersten Drittel der Schwangerschaft seien diese Auswirkungen besonders markant: »Dann ist die mütterliche Versorgung mit T4 über die Plazenta essenziell für die frühe Entwicklung des Kindes, vor allem des Gehirns, da die kindliche Schilddrüse erst im zweiten Drittel der Schwangerschaft ihre Funktion aufnimmt und reift.«
Köhrle erinnert daran, dass eine ausreichende Jodversorgung für die Schilddrüsenhormonbildung essenziell ist. Doch daran hapert es hierzulande; seit den 2000er-Jahren zählt Deutschland wieder zu den Jodmangelgebieten. Und das potenziere die negativen Auswirkungen der endogenen Disruptoren auf die Schilddrüsengesundheit. »Ohne Supplementation von Jod haben Schwangere ein schwach abgesichertes Schilddrüsenhormonsystem. Die zusätzliche Belastung durch die endokrin aktiven Substanzen verschärft die Situation erheblich, weil diese die Synthese, den Transport und die Schilddrüsenhormonwirkung beeinträchtigen können.«
Der Experte fordert vor diesem Hintergrund eine gezielte Jodsupplementation vor allem von Frauen mit Kinderwunsch, Schwangeren und Stillenden. »Das würde schon helfen, die Gefahren durch endogene Disruptoren abzufedern.« In der Tat ist die Jodversorgung der Deutschen eher mangelhaft. Nach Angaben des Bundesernährungsministeriums (BMEL) nehmen die Menschen hierzulande nur etwa ein bis zwei Drittel der empfohlenen Jodmenge auf. Besonders bei Frauen im gebährfähigen Alter besteht deutlich Nachholbedarf. So liegt die geschätzte durchschnittliche Jodzufuhr bei Frauen unter 30 Jahren mit 98 µg am Tag deutlich unterhalb der Empfehlung. Damit eine ausreichende Jodversorgung während der Schwangerschaft gewährleistet ist, empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der Arbeitskreis Jodmangel eine tägliche Jodzufuhr von 230 µg, davon bis 150 µg in Tablettenform.
Den Hauptgrund für das Jod-Defizit in Deutschland sieht DGE-Experte Köhrle im vermehrten Verzehr verarbeiteter Lebensmittel. »Nur 30 Prozent des Salzes, das für die Herstellung von vorbereiteter, semiindustrieller Nahrung verwendet wird, ist hierzulande noch jodiert.« Deshalb gelte es, so oft wie möglich selbst zu kochen inklusive ausreichend Meeresfisch und mit jodiertem Speisesalz zu würzen. Auch den Jodgehalt im Salz zu erhöhen, wie in der Schweiz bereits seit 100 Jahren praktiziert, sei ein gangbarer Weg. Köhrle beklagte jedoch im Interview eine gewisse in Deutschland herrschende, für ihn unbegründbare »Jodangst«.